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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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wir haben alle zusammen gespielt, und ich habe dich aus den Augen verloren. Als ich das gemerkt habe, bin ich in Panik geraten. Ich suchte überall nach dir, aber ich konnte dich nicht finden, und auf einmal hat mir das Herz weh getan. Irgendwie habe ich es noch geschafft, Dad Bescheid zu sagen, der auch Angst bekam und anfing, nach dir zu brüllen. Dann hat Mom nach dir geschrien. Alle haben nach dir gesucht. Und dann habe ich aus irgendeinem Grund nach oben geschaut. Und da saßest du, hoch oben im Baum, und hast auf mich, auf uns alle heruntergeschaut. Ich weiß noch, dass ich vor Erleichterung geweint habe.« Lily schüttelte den Kopf. »Du warst doch nicht fort, und ich konnte wieder atmen«, flüsterte sie. »Niemand konnte sich erklären, wie du da hinaufgekommen warst, und es ist ein Wunder, dass du nicht heruntergefallen bist und dir etwas gebrochen hast. Als Dad dich heruntergeholt hatte, bekamst du natürlich einen Klaps auf den Po, weil du ihm Angst eingejagt hattest und er nicht wusste, wohin du verschwunden warst. Du hast ihn nur angesehen und mit der ganzen Weisheit einer Dreijährigen erklärt: ›Ich war gar nicht weg, ihr konntet mich nur nicht sehen.‹«
    Ich nickte. Vage erinnerte ich mich jetzt daran.
    »Das werde ich nie vergessen«, sagte Lily. »Du warst gar nicht fort, wir konnten dich nur nicht sehen. Genauso werde ich das hier überstehen, Lucy. Du wirst gar nicht fort sein.«
    »Ich werde nicht fort sein«, echote ich.

[home]
    29
    17 . November 2011
    J etzt kenne ich den Unterschied zwischen Trauer und Depression genau. Die klinische Depression entspringt nicht irgendeiner Quelle – sie ist einfach. Unheilbare Traurigkeit hingegen hat nichts mit Synapsen, Gehirnchemie oder Spurenelementen zu tun, sie geht aus etwas hervor. Sie ist das Produkt von Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit. Man kann sie wohl betäuben, nehme ich an, aber sie bleibt und ist unverändert, wenn die Wirkung der Pillen nachlässt, wie ein Einbrecher, der jeden Morgen, wenn man aufwacht, noch da ist.
    Wenn ich die Wahl hätte, wäre mir die Depression lieber. Die habe ich schon mal überwunden.
     
    Priscilla kam zu dem Termin mit Harry nach Brinley und wollte ein paar Tage bei uns bleiben. Das behauptete sie jedenfalls – nur ein paar Tage. Es war zu kalt, um auf dem Boot zu übernachten, und statt in Lilys Gästezimmer zu wohnen, das ihr immer offen stand, war sie scheinbar entschlossen, mir nicht von der Seite zu weichen. Aber ich war zu müde, um etwas dagegenzuhaben. Außerdem entpuppte sich das als gute Ablenkung für Mickey, der so dringend eine brauchte.
    Irgendwie machte mein Zustand es Priss und Mickey möglich, über ihre schlechte Meinung vom jeweils anderen hinauszuwachsen. Es half allerdings sehr, dass Priscilla sich einfach verändert hatte. Weicher geworden war. Zum Teil fühlte sie sich natürlich dazu verpflichtet, weil ich krank war. Aber zum Teil hatte es auch eine tiefere Ursache. Ich glaubte, dass sie es einfach satthatte, all diese Wut mit sich herumzuschleppen. Und ich hoffte sehr, dass sich das nicht ins Gegenteil verkehren würde, wenn ich ihr sagte, warum ich sie gebeten hatte, heute Abend hier zu sein. Ich hielt es für besser, ihr den Zweck unseres Treffens mit Harry zu erklären, ehe er in seiner offiziellen Funktion mit Unterlagen auftauchte, die wir alle unterschreiben sollten. Also stand ich auf und putzte mir die Zähne, kroch aber gleich wieder ins Bett. Heute ging es mir miserabel, und um halb drei Uhr am Nachmittag war ich immer noch nicht angezogen. Priscilla schaute alle paar Minuten nach mir, und als sie zum dritten Mal hereinkam, schaffte ich es endlich, mich aufzusetzen und ihr zu sagen, dass ich mit ihr reden müsse. Jetzt saß sie am Fußende des Bettes und wartete darauf, dass ich zu husten aufhörte. Ich brachte natürlich nicht mehr heraus als das Nötigste. So hatte ich ihr eigentlich nicht erklären wollen, dass ich mein Baby Lily geben würde.
    »Lily? Du gibst Lily dein Baby?«
    »Ja.«
    Priss blickte zur Decke auf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Sag mir, dass du eine gute Tante sein wirst.«
    »Ich wäre auch eine gute Mutter.«
    »Mit Sicherheit«, entgegnete ich und war froh, dass ich das herausgebracht hatte, als meinte ich es aufrichtig.
    Ihr nach oben gewandtes Gesicht verzerrte sich, und ich sah ihr an, dass sie wirklich verletzt war. »Hast du mich überhaupt in Betracht gezogen?« Als ich nicht antwortete, senkte sie den Blick.
    Ich wusste

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