Tanz auf Glas
und sagte, ich sähe gut aus. Diana Dunleavy nahm meine beiden Hände und küsste sie. Earl Withers klopfte mir auf die Schulter. Jede dieser aufrichtigen Gesten gab mir mehr Kraft, die ich brauchte, um es ohne Lucy hier auszuhalten. Über den Lärm hinweg hörte ich Abby weinen und wollte zu ihr zurückkehren, weil ich wusste, dass ihr Weinen bald lauter werden würde, wenn sie nicht gefüttert wurde. Ich wollte sie in den Arm nehmen, aber Ron hatte schon ein Fläschchen fertiggemacht und sich mit ihr aufs Sofa gesetzt, wo er prompt von Muriel Piper und Elaine Withers belagert wurde. Man hätte glauben können, dass die beiden noch nie ein Baby gesehen hatten, und ich entspannte mich in der Gewissheit, dass Abby bestens versorgt war.
Wieder verlor ich mich in tröstlichen Empfindungen, Händen, die meine Wange streichelten, lieben Worten, Küssen auf die Wange, sanftem Schulterklopfen. Ich fing einzelne Fetzen aus den Gesprächen im Raum auf – »Er sieht gut aus … schafft das schon … aber er ist so dünn geworden, der Arme … das Baby sieht genauso aus wie Lucy, als sie klein war, einfach hinreißend.« Das alles war ziemlich überwältigend, aber ich wollte nicht auf einen einzigen Bruchteil davon verzichten.
Quer durch den Raum sah ich Lily und Jan, die letzte Hand an den Esstisch legten. Es rührte mich, dass Lily trotz ihrer Frustration mitgeholfen hatte, diese Überraschung für mich vorzubereiten.
An der Tür klingelte es, Harry öffnete, und da standen Priscilla und Nathan. Sie küssten sich gerade, fuhren hastig auseinander und wirkten ein wenig verlegen. Nathan zeigte auf den Dachvorsprung über der Tür, wo ein Mistelzweig hing, und Harry hielt ihnen lachend die Tür auf und nahm ihnen die Mäntel ab. Meine Schwägerin entdeckte mich sofort, und die Menschenmenge im Raum teilte sich, als sie auf mich zusteuerte. Sie sah umwerfend aus in einem kurzen roten Kleid und Stiefeln mit hohen Absätzen. Doch als sie vor mir stehen blieb, sah sie mich mit einem Blick an, der ihre coole Erscheinung Lügen strafte.
»Mickey«, flüsterte sie und umarmte mich. »Frohe Weihnachten, mein Lieber. Geht’s dir gut?«
»Wird schon«, sagte ich dicht an ihrem Ohr.
Wieder ging die Tür auf, und ich sah Gleason Webb hereinkommen, warm eingepackt in einen dicken Daunenparka.
»Wie lieb von Ihnen, dass Sie heute Abend so weit hergefahren sind!«, rief Jan und küsste ihn auf die Wange.
»Na, ich habe gehört, es soll etwas zu essen geben, also musste ich natürlich kommen.« Er lachte, fing dann meinen Blick auf und drängte sich durch den überfüllten Raum zu mir herüber.
Als er bei mir ankam, bemerkte er: »Besser kann man es kaum haben, Mic.«
»Das glaube ich auch.«
Am Durchgang zur Küche klopfte Harry mit einem Löffel an sein Glas, und es wurde still. Er räusperte sich und sah wesentlich ernster aus, als ein Mann im Rentierpulli dreinschauen sollte.
»Ich möchte alle zur Heiligabendparty bei den Chandlers begrüßen. Vor allem aber Mickey – willkommen zu Hause. Du warst wirklich lange fort.« Seine Unterlippe bebte, und er sah mir tief in die Augen. »Schön, dass du wieder zu Hause bist, mein Junge.«
Alle schwiegen und schienen den Atem anzuhalten, und ich bildete mir ein, dass alle gerade dasselbe dachten: armer Mickey. Ich riss mich zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen, aber ich musste kurz zu Boden starren, ehe ich sprechen konnte. Ich blickte wieder auf und hob mein Glas.
»Was würde ich nur ohne meine Freunde tun? Danke. Ich danke euch sehr für all das. Und ich danke euch in Lucys Namen. Ihr wisst ja, wie gern sie diesen Abend immer mit euch verbracht hat.«
Wie aufs Stichwort gab Abby ein lautes Rülpsen von sich, das die betretene Stille zerriss und die Spannung im Raum löste. Ich lachte mit den anderen. »So ist es recht. Also, wollen wir jetzt endlich etwas essen? Ich bin am Verhungern.«
Danach kam die Party wieder in Schwung, und bald standen alle Schlange, um sich zu bedienen. Dann setzten sich die Leute hin, wo immer sie Platz fanden, selbst auf der Treppe oder dem Fußboden. Ich blickte mich um und dachte, dass ich diesen Menschen niemals oft genug danken konnte.
Und niemals werde ich mich für das revanchieren können, was mich am Höhepunkt des Abends an Güte und Großzügigkeit noch erwartete. Oscar Levine nahm mich bei der Hand und sagte: »Ein paar von uns haben ein kleines Weihnachtsgeschenk für dich, Mic. Komm doch mal mit rauf und sieh es dir
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