Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
Vom Netzwerk:
Dann holte ich einen Apfel aus dem Kühlschrank und rollte ihn über den Tisch. Kurz vor dem Rand hielt er inne, aber wenn er heruntergefallen wäre, hätte ich ihn nicht aufgehoben. Ich drehte den Hahn auf und füllte ein Glas mit Wasser, doch statt es zu trinken, stellte ich es auf die Küchentheke. Auf dem Weg hinaus verrückte ich noch einen Stuhl ein paar Zentimeter nach links. Ich war schon etwas weniger beklommen, als ich das Licht ausschaltete.
    Das Wohnzimmer fühlte sich besser an, entspannter. Die Wolldecke lag schief auf der Sofalehne, und ein Kissen war auf den Boden gefallen. Ich ließ beides, wie es war. Dieses Zimmer hatte mir immer besonders gefallen. Es war gemütlich, und wenn ich spätnachts nach Hause gekommen war, saß Lucy halb zusammengerollt im Sessel in der Ecke und las oder schlief mit einem aufgeschlagenen Buch auf der Brust. Ich versuchte mich zu erinnern, welches Buch sie erst zur Hälfte gelesen hatte, als sie … Wenn ich es fand, würde ich es lesen. Ich musste es finden. Wo war es?
    Ich spürte nur ein kurzes Schaudern, ehe ich zu zittern begann, und musste mich an der Wand abstützen. Bald raste und hämmerte mein Herz, und ich schlotterte am ganzen Leib. Ich rutschte an der Wand hinab, bis ich den Boden unter mir spürte. Dann barg ich den Kopf auf meinen Knien. Ich kannte Panikattacken, war mir aber nicht sicher, ob dies eine war. Was immer es war, ich hoffte nur, dass es bald vorbei sein würde. War es jedoch nicht. Es dauerte eine ganze Weile, aber auch das war nicht so schlimm. Es war niemand hier, der über mich urteilen oder den ich vor meinem Drama schützen müsste. So beruhigend ich konnte, sagte ich mir immer wieder: »Ich schaffe das. Ich kann das.« Wie Gleason schon so oft bemerkt hatte, gab es keinen anderen Weg als den mitten hindurch, also blieb ich sitzen, während Wogen von Trauer, Angst und schrecklicher Nervosität über mich hinwegrollten.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da saß, doch als ich endlich aufstehen konnte, atmete ich tief durch, taumelte wie ein Betrunkener in die Küche und trank das Wasser, das ich auf der Küchentheke hatte stehen lassen. Ich legte auch den Apfel wieder in den Kühlschrank.
    Meine Reisetasche fand ich im Wandschrank, wo Ron sie abgestellt hatte. Langsam trug ich sie die Treppe hinauf. Es war sehr still, aber es war jene laute Art Stille, die daher rührt, dass man zu angestrengt lauscht. Beinahe schmerzte sie mir in den Ohren. Ich sah mich um und versuchte, ein wenig von dem Lärm in mir wachzurufen, der diesen Flur, dieses Haus erfüllt hatte. Während ich mich darauf konzentrierte, setzte sich in der ohrenbetäubenden Stille allmählich ein Mosaik aus halberinnerten Gesprächen mit meiner Frau zusammen.
Wag es ja nicht, einfach zu gehen, ohne mich zu küssen. Würdest du auf dem Heimweg etwas Milch besorgen, und eine schwarze Strumpfhose, Größe S, bitte? Ich werde dich immer lieben. Hast du die Kontoauszüge irgendwo gesehen? Hast du deine Tabletten genommen? Bitte lass mich in Ruhe, ich bin gerade ziemlich sauer. Ich habe
Immer Ärger mit Bernie
aus der Videothek mitgebracht. Nicht schon wieder! Doch, schon wieder, wir wollen es doch auf hundert Mal bringen, und wir sind erst bei zweiundvierzig. Ich liebe dich, Mic. Ich liebe dich, Mickey. Ich liebe dich, Michael Chandler.
Die frei durcheinanderfließenden Erinnerungen beruhigten mich. Wenn ich irgendwann ihre Stimme nicht mehr in meinem Kopf hören konnte, so dachte ich, würde das wohl der Moment sein, in dem ich implodierte. Außerdem wurde mir klar, dass ich nie wieder
Immer Ärger mit Bernie
würde schauen können, oder
French Kiss
oder
Lang lebe Ned Devine!
Vielleicht würde ich mir die Filme auch einen nach dem anderen immer wieder ansehen, mein restliches Leben lang.
    Ich öffnete die Tür zum Schlafzimmer und schaltete das Licht an. Auch dieser Raum war makellos sauber. Die Staubsaugerspuren im Teppich waren der traurige Beweis dafür, dass jemand alle Fußspuren weggeputzt hatte. Lucys Fußspuren. Seufzend ging ich ins Bad. Auch hier war nichts mehr von ihr zu sehen, und ich wusste nicht, was schlimmer war: überall auf ihre Spuren zu stoßen, oder nirgends.
    Ich kippte die Tasche auf den Boden aus, fischte meine sieben Medikamentenpackungen aus dem Haufen und reihte sie auf dem Bord hinter der Toilette auf, an ihrem gewohnten Platz. Die drei, die ich morgens nahm, ein wenig abgerückt von den zweien, die abends drankamen, und wiederum mit etwas Abstand die

Weitere Kostenlose Bücher