Tanz auf Glas
und wartete darauf, dass Charlotte etwas sagte. Als nichts kam, holte ich tief Luft, drehte mich um und bemerkte, dass sie mich genauso ansah, wie meine Mutter es getan hätte. Sie lächelte. »Setzen wir uns doch hier draußen hin. Es ist schön ruhig, niemand mehr da – und nicht so steril.«
»Muss ich mir Sorgen machen?«
»Das kommt darauf an.«
Ich setzte mich vorsichtig wieder zwischen die Teetrinkerinnen und spürte meinen hämmernden Herzschlag, während sich Charlotte in dem Sessel mir gegenüber niederließ. Das Gespräch, das ich mir schon die ganze Zeit ausmalte, hing zwischen uns. Ich sah der besten Freundin meiner Mutter tief in die Augen. Jeder ihrer Gesichtszüge war schön für mich, mütterlich und voller Zärtlichkeit. Und ich sah kein Mitleid in ihren dunklen Augen, was ich ungeheuer beruhigend fand.
»Was ist los, Charlotte? Warum sollte ich herkommen?«
Charlotte stützte das Kinn in eine Hand und musterte mich. »Lucy, es ist nicht das, was du denkst. Die Ergebnisse aus der Onkologie sind noch nicht da.«
»Was ist es dann?«
»Tja, ein Laborergebnis ist schon gekommen, und ich fand, dass du es sofort erfahren solltest.«
»Ist es was Ernstes?«
Charlotte sah mich lächelnd an. »Lucy, du bist schwanger.«
Minuten vergingen, vielleicht auch Stunden. Was hatte sie gesagt? Ich hatte gesehen, wie sich ihre Lippen bewegten. Ich hatte gehört, dass etwas aus ihrem Mund gekommen war, aber die Worte waren an meinen Ohren hängengeblieben wie schockgefrostet. Sie waren nicht ganz zu mir durchgedrungen, also konnten sie nicht wirklich wahr sein.
Charlotte nickte. »Alles in Ordnung, Liebes?«
»Ich muss mich wohl verhört haben.«
»Nein, hast du nicht. Ich sagte: Du bist schwanger. Schwanger.«
Dieses eine Wort ging mir durch und durch und breitete sich wie ein rasendes Feuer in mir aus.
Schwanger.
»Nein.«
Während Charlotte nickte, schossen mir all die Gründe durch den Kopf, weshalb das unmöglich war. Mickeys Geisteskrankheit, der Krebs, den meine Familie magisch anzuziehen schien. Die vielen Frauen in meinem Leben, die dieser erbarmungslosen Krankheit zum Opfer gefallen waren. Darunter beinahe ich selbst. Obwohl Mickey und ich sehr gern Kinder bekommen hätten, hatten wir uns schon vor langer Zeit mit diesen unausweichlichen Faktoren abgefunden und die schwerste Entscheidung unseres Lebens gefällt.
»Wie kann das sein, Charlotte?«
Sie verschwamm, nicht weil ich Tränen in den Augen gehabt hätte, sondern weil ich offenbar nicht mehr blinzeln konnte. »Prüf das noch einmal nach, das ist ganz unmöglich.« Doch während ich so vor mich hin stammelte, versuchte ich mich zu erinnern, wann ich zuletzt meine Tage gehabt hatte.
Charlotte nahm meine Hand.
»Ich verstehe das nicht. Meine Eileiter …«
»Das kommt vor«, erklärte sie leise. »Manchmal – zugegebenermaßen sehr selten – schafft es so ein entschlossener kleiner Schwimmer doch durch den Knoten.«
»Nach so langer Zeit habe ich noch einen Knoten, durch den irgendetwas schwimmen kann?«
»Entweder das, oder ein Eileiter ist von selbst wieder durchgängig geworden. Das ist schwer zu sagen, aber so etwas kommt vor.«
»Charlotte …« Meine Gedanken überschlugen sich. Das war zu groß, als dass ich es begreifen konnte. Wie lange war meine letzte Periode her? Mein Zyklus war oft unregelmäßig, und ich führte keine Aufzeichnungen darüber oder so etwas, aber, du lieber Himmel,
wann war die letzte gewesen?
Charlotte lächelte beruhigend, während ich nur dasaß und den Kopf schüttelte. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. »Ich kann mich nicht einmal erinnern, wann ich zuletzt meine Tage hatte!«
»Das spielt auch keine Rolle, Lucy. Es ändert nichts daran.«
»Für mich spielt das schon eine Rolle, Charlotte. Was soll ich denn jetzt machen?«
»Wie wäre es damit: Lass es für heute Abend so, wie es ist. Sei einfach damit da. Du bist eine Frau, der es ergeht, wie es Frauen nun einmal ergeht. Du bist schwanger. Das ist ganz natürlich, wunderschön und normal …«
»Unglaublich. Irrsinnig.«
»Nicht heute Abend, Lucy«, sagte Charlotte ruhig. »Lass es für heute Abend einfach so sein. Über die Schwierigkeiten denken wir morgen nach. Das ist nicht das Ende der Welt.«
»Ach, wirklich?«
Charlotte nahm erneut meine Hand. »Wirklich nicht.«
»Warum jetzt? Nach so langer Zeit? Was ist da schiefgegangen?« Ein Dutzend widerstreitender Gefühle kreischten in mir herum.
Während die
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