Tanz auf Glas
»Lass uns etwas ausmachen, wenn es ihm wieder bessergeht.«
Ich küsste ihn auf die Wange. »Abgemacht.«
Hinter Nathan standen George und Trilby Thompson mit einem großen Korb voll Gazanien. Wenn im Ort jemand starb, besorgte der alte Brummbär George immer die schönsten Schnittblumen und gab jedem eine mit, als Andenken an die Beerdigung. Das machten sie schon seit Jahren. Ich umarmte Trilby. »Ich habe gehört, dass du dir den Fuß gebrochen hast. Wie geht es dir?«
»Ach, war nur eine schlimme Verstauchung, aber das soll mir eine Lehre sein – nicht in unaufgeräumten Zimmern herumtanzen.«
»Hier, bitte schön, Lucy«, sagte George und reichte mir eine Blume. Ich nahm sie und küsste ihn auf die Wange.
Als ich mich abwandte, zog meine Nachbarin Wanda Murphy mich an ihre üppige Brust, die so weich war wie ein Daunenkissen. »Ich habe gehört, deinem Mickey geht es besser.«
Ich dachte an meinen Mann, der gerade an seinem Vogelhäuschen aus Pappmaché arbeitete. »Ja, wir haben’s wieder einmal überstanden, Wandy.«
»Das ist wunderbar, Herzchen.«
Ich drückte ihre Hand, und schon zog Lily mich weiter zu Jan, die sie eben entdeckt hatte. Jan Bates mit ihrem weißen Haar sah im schwarzen Kostüm sehr elegant aus. Sie tätschelte uns die Wangen, und ich sah ihr an, dass sie geweint hatte. Lily und ich schlangen die Arme um sie.
»Ich bin doch eine Gans«, sagte sie. »Ich wusste ja, dass sie nicht mehr ist, aber das hier macht es so …«
»Ach, Jan, natürlich ist das schwer für dich«, sagte Lily zu ihrer Schwiegermutter.
Ich nickte, denn ich wusste nichts zu sagen. Jan hatte alle Bücher von Celia illustriert, und die beiden waren gute Freundinnen gewesen.
Jan zog uns an sich. »Und immer, wenn ich hierherkomme, muss ich an eure Eltern denken.«
Ich hatte genau dasselbe gedacht, als Lily und ich an den Grabsteinen unserer Eltern vorbeigegangen waren und uns automatisch an den Händen gefasst hatten.
Über Jans Schulter hinweg sah ich Jessica Nash ganz allein dastehen. Celias Tochter hatte das rötlich blonde Haar ihrer Mutter und die weit auseinanderstehenden Augen, die jetzt vor Trauer rot und verquollen waren. Ich entschuldigte mich bei Jan und Lily, ging zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern.
»Ach, Süße«, sagte ich. »Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als seine Mom zu verlieren. Sie fehlt dir bestimmt jeden Tag.«
Sie nickte. Als ich einigermaßen sicher war, dass ich nicht in Tränen ausbrechen würde, sagte ich: »Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich jetzt fühlst. Ich war fast genauso alt wie du, als meine Mutter gestorben ist.«
»Ist das auch ganz plötzlich passiert, Lucy? Wie bei meiner Mom?«
»Nein. Sie ist krank geworden, und es hat lange gedauert, bis sie gestorben ist.«
Jessica schluckte schwer. »Was glaubst du, was schlimmer ist?«
»Ich finde, beides ist schrecklich, und wir beide sollten unsere Mütter noch haben.«
Wir weinten ein bisschen, bis Jess’ Großmutter ihr bedeutete, sich auf einen der Stühle vor dem Grab zu setzen. Ich ging wieder hinüber zu Lily, ein wenig verloren in meinem eigenen Kummer. Auf einmal fiel mir einiges über den Tod meiner Mutter wieder ein, woran ich lange nicht mehr gedacht hatte. Der Zug, dessen Lärm mich geweckt hatte, als ich auf dem Stuhl neben ihrem Bett eingeschlafen war. Ihre tief eingesunkenen Augen, die mir fest und furchtlos ins Gesicht sahen, als sie mich fragte, ob ich bereit sei. Ihre warmen, warmen Hände.
Ich schob meine Hand in Lilys und ließ das sanfte Gemurmel unserer kleinen Gemeinde meine eigene Trauer besänftigen. Es war tröstlich, und ich erinnerte mich daran, dass dieses Säuseln mich friedlich eingehüllt hatte, als ich meine eigenen Familienmitglieder hier begraben musste. Bei der Beerdigung meines Vaters im Sommer war ich noch ein kleines Mädchen gewesen und auf eigenartige Weise wie losgelöst. Als wir uns hier versammelt hatten, um Abschied von Mom zu nehmen, war ich ein Teenager gewesen und sehr viel emotionaler. Aber ich erinnere mich an beide Tage in allen Einzelheiten, und an die Kraft, die ich aus der Nähe der Menschen hier gezogen hatte.
»Oh, sie hat es geschafft«, sagte Lily und riss mich aus meinen Gedanken. Ich folgte ihrem Blick zu einem vertrauten BMW , der gerade am Fuß des Hügels hielt. Gleich darauf streckten sich die langen Beine meiner Schwester aus dem Wagen. Priscilla trug ein sehr figurbetont geschnittenes Kostüm und Schuhe mit unglaublich
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