Tanz auf Glas
verletzen, zu verängstigen und zu verlieren – all das war zu viel für meine Psyche. Ich habe versucht, sie vor einem Leben mit mir zu bewahren – mehrmals sogar. Aber sie zuckte kaum mit einer Wimper.
Nicht einmal, als sie heftig hätte blinzeln sollen.
Das Jahr, in dem ich mich in Mickey verliebte, verlief nicht wie die typische Romanze, von der die meisten jungen Frauen träumen. Mitten in diesem Sturm trat ich manchmal zurück und versuchte, mich nüchtern und analytisch zu betrachten. Hatte ich vielleicht irgendeine verborgene Eigenart, die mich dazu brachte, Mickey als eine Art Projekt zu betrachten? Benutzte ich ihn, um einen dunklen Fleck in mir selbst nicht sehen zu müssen? Ich dachte sehr ungern über diese Dinge nach, weil meine Gefühle für ihn so stark wurden.
Das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass ich mich bis über beide Ohren in einen Mann verliebt hatte, der an seinem elften Geburtstag schon erkannt hatte, dass er anders war als der Rest der Welt. Einen Mann, der in der Angst vor seinem eigenen Geisteszustand groß geworden war. Ich verliebte mich in einen Mann, der sein Bestes tat, mir begreiflich zu machen, wie unsterblich er sich manchmal fühlte, wie ausgreifend und dreist er sein konnte, wenn er glaubte, ihm stehe einfach alles zu.
Manchmal machte mir das Angst. Doch dann bot Mickey mir wieder einmal einen Ausweg an. Eines Abends hielt er mein Gesicht mit beiden Händen umfasst und zwang mich, ihn anzusehen. »Es ist völlig in Ordnung, wenn du Zweifel hast, Lucy. Mit mir nimmst du eine Menge auf dich, und du musst dir sicher sein, dass du das willst.«
Diese Erlaubnis zum Zweifeln vertiefte nur meine Gefühle für ihn.
»Wir können an unseren Emotionen nicht viel ändern«, fuhr er fort. »Wenn du Angst hast, dann darfst du natürlich Angst haben. Und entscheiden, was du damit anfangen willst. Ich sehe dich, Lucy. Ich sehe, wer du bist. Du bist stark und klug, und du wirst mit allem fertig, womit das Leben dich konfrontiert – wenn du es nur kommen siehst.«
Ich fühlte mich nackt unter Mickeys Blick, denn da irrte er sich nicht.
»Ich möchte, dass du dir Zeit nimmst. Lass diese Unsicherheit, was mich angeht, was uns angeht, sich erst ein bisschen setzen.« Er küsste mich auf die Nasenspitze, und dann ging er.
Ich ließ mir einen Tag Zeit, auszuprobieren, wie es sich anfühlen würde, ihn nicht zu sehen, nicht mit ihm zu sprechen, ihn nicht zu berühren, und das gefiel mir nicht. Es gefiel mir überhaupt nicht. Er hatte recht – ich kam mit so ziemlich allem klar, wenn ich Zeit hatte, mich darauf vorzubereiten. Und damit kam ich zu dem Schluss, dass in der Beziehung zu einem psychisch kranken Mann der übliche Ablauf des Sichverliebens vielleicht ein wenig geändert werden musste. Ich wollte Mickeys Krankheit verstehen, sie aus einer nüchternen, klinischen Warte betrachten. Also rief ich ihn an und fragte ihn, ob ich mit seinem Psychiater sprechen dürfe, und er schien beinahe erleichtert zu sein, dass ich das vorgeschlagen hatte.
Gleason Webb war mir vom ersten Moment an sympathisch. Der rundliche Mann mit dem schütteren Haar, bescheiden, herzlich und verständnisvoll, ergriff mit beiden Händen meine Hand. »Es ist mir eine ganz besondere Freude, Lucy. Ich habe das Gefühl, Sie schon recht gut zu kennen.«
Als ich ihm erklärte, weshalb ich ihn aufsuchte, sagte er, wie klug es von mir sei, diesen Stein umdrehen zu wollen, um darunterzuschauen. Ich lachte, aber ich wusste, dass er es ernst meinte, und nach diesem ersten Gespräch machten wir uns an die Arbeit. Von da an begannen die meisten Verabredungen mit Mickey in Gleasons Praxis.
Dr. Webb hielt es für außerordentlich wichtig, dass ich ein Verständnis für die tiefen Depressionen entwickelte, die Mickey vollkommen lähmen konnten. Er beschrieb mir ganz genau Mickeys Abstieg in diese finstere Hölle, in der er sich nicht bewegen, kaum mehr atmen konnte und es ihm gleichgültig war, ob er lebte oder starb. Dr. Webb machte mir klar, wie schnell Hypomanie zu einem psychotischen Anfall führen konnte. Er gab mir pharmakologische Handbücher, damit ich mir ausreichende Kenntnisse über Mickeys Medikation anlesen konnte. Mickey selbst überließ mir Tagebucheinträge, die er in manischen Phasen geschrieben hatte, damit ich verstehen konnte, weshalb er sich nicht zu zügeln vermochte, wenn er abhob.
Er war fest entschlossen, mir seine Störung begreiflich zu machen. Manchmal, so erklärte er mir,
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