Tanz auf Glas
unbedingt überzeugt werden.
»Komm her«, sagte er zärtlich und zog mich an sich. Er nahm mich in die Arme und hielt mich lange fest. Sein täuschend starker Herzschlag lullte mich ein und ließ mich an Wunder glauben. Ich bekam wieder dieses Gefühl wie damals, als ich ihn geheiratet hatte: Wir konnten es schaffen. Mickey hatte recht. Oder nicht? Wir hatten es fast elf Jahre lang geschafft. Offensichtlich waren wir stärker, als ich es uns zugetraut hätte. Und war der
entschlossene kleine Schwimmer,
der es durch meinen verknoteten Eileiter geschafft hatte, nicht ein weiterer Beleg für unsere genetische Stärke? Aber ja, natürlich war er das.
Ich konnte nicht mehr nur an die Schattenseiten denken. Jetzt war sie heraus, diese überwältigende Neuigkeit, und hing wunderschön und beängstigend zwischen uns. Ich war zu glücklich und aufgeregt, um dagegen anzukämpfen. Und Mickey ragte vor mir auf mit seinem verzückten Lächeln und diesem ansteckenden Optimismus. Wir waren schwanger, und vorerst war das alles, woran ich denken wollte.
Auf einmal wurde mir bewusst, dass es schon dunkel war. Mickey und ich lagen unter einer Decke im Bug und schmiedeten Pläne, die Abstellkammer in ein Kinderzimmer zu verwandeln. Ich hatte meinen Mann noch nie so bewegt, so ehrfürchtig gesehen. Als ich sicher war, dass er längst schlief, wandte ich den Kopf und sah ihn mit feuchten Augen zu den Sternen hinaufstarren. Er spürte meinen Blick und zog mich an sich. Schließlich schliefen wir unter diesen Sternen ein, die offenbar so gut für uns standen, und schaukelten eng umschlungen auf den Launen des Flusses. Bis zum nächsten Morgen hatten wir uns beide gleichermaßen und vollkommen auf diesen Wunschtraum eingelassen, den das Leben uns geschenkt hatte. Ob es nun richtig oder falsch war, wir würden dieses Kind bekommen.
Wir lagen im Hafen von Hollis Cove, in neuer Hoffnung verankert, und ignorierten Wahrscheinlichkeiten und Statistiken. Wir ignorierten unsere Vergangenheit. Und wir ignorierten jegliche Logik.
Das taten wir ja auch nicht zum ersten Mal.
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9
30 . April 2000
W enn man verrückt ist, sollte es theoretisch schwierig sein, sich von jemand anderem verrückt machen zu lassen … aber anscheinend ist es nicht unmöglich. Das sage ich, weil ich nicht verstand, was mit mir geschah, wenn ich mit Lucy zusammen war. Ich hatte schon viele Frauen kennengelernt, aber ich begriff nicht, welche Macht dieses Mädchen über mich hatte, fast vom ersten Augenblick an. Ich habe mich früher immer gefragt, wie das mit dem wahren Verlieben bei Leuten funktionierte, die sich über Wahnsinn keine Gedanken machen mussten. Die brauchten sich wahrscheinlich nicht so unmenschlich anzustrengen, sich gar nicht erst zu verlieben. Die glaubten vermutlich nicht, dass sie Liebe abweisen müssten, weil man ihr nicht trauen konnte, und mussten sich nicht die verheerende Zurückweisung ausmalen, die unvermeidlich schien, sobald das ganze Ausmaß ihres Wahnsinns bloßgelegt wurde. Trotz alledem war ich Lucy schon am Ende unserer ersten Verabredung verfallen und hatte deshalb entsetzliche Angst – um sie. Als wir anfingen, uns einander Schicht für Schicht zu enthüllen, konnte ich nie ganz glauben, dass sie mich nicht abstoßend fand. Ich hatte mich noch nie jemandem so sehr geöffnet, hatte das nie gewollt. Aber bei Lucy stellte ich fest, dass ich ihrem Wunsch, in mein Innerstes zu schauen, nicht zu widerstehen vermochte.
Ihre Furchtlosigkeit erschreckte mich. Aber vielleicht war Furchtlosigkeit eben das, was ein Mensch entwickelte, wenn das Schlimmste, was passieren konnte, tatsächlich geschah. Was Lucy beim Tod ihrer Eltern auch durchgemacht haben mochte, hatte ihr auch eine tiefe Quelle außergewöhnlicher Kraft hinterlassen. Aber konnte ich dieser Kraft vertrauen?
Konnte sie ihr vertrauen?
Lucy glaubte aufrichtig, dass sie mit allem fertig wurde, wenn sie nur wusste, was sie erwartete. Sie hatte all die unschönen Möglichkeiten gern auf einem Haufen auf dem Tisch liegen, damit sie sich einen Überblick über das Chaos verschaffen und eine Strategie zurechtlegen konnte. Aber sie wusste nicht, dass dieser Haufen bei einem Menschen wie mir ständig in Bewegung ist, seine Verschiebungen und Verwerfungen schwer vorherzusehen sind. Ich versuchte sie zu warnen.
Ich war im Begriff, mich in sie zu verlieben, aber das schien mir eine ganz schlechte Idee zu sein. Die Vorstellung, Lucy für mich zu gewinnen, sie zu haben, sie zu
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