Tanz auf Glas
wegwischte, musste ich schmunzeln. Dann spürte ich noch einen. Und noch einen. Mickey wirkte leicht vorgebeugt, so gebannt lauschte er jedem Wort, doch er drückte meine Hand. Derweil wir dort standen und dem Richter zuhörten, der gar nichts zu bemerken schien, öffnete der Himmel alle Schleusen, und ich hörte ein schrilles »Lucy!«.
Priscilla hielt sich eine Serviette über den Kopf, und Lily neben ihr bemühte sich, nicht zu lachen. Einige Gäste drängten sich unter unserer schmalen Veranda zusammen. Ich schüttelte den Kopf. Die Küche war voller Essen und Kisten, das Wohnzimmer mit Geschenken und allerhand Hochzeitskram belegt. Priscilla wirkte völlig fassungslos darüber, dass wir es einfach regnen ließen. Ich wandte mich Mickey zu. Wie diese Zeremonie verlaufen, wie sie allen in Erinnerung bleiben würde, entschied sich in diesem Augenblick, als er zum Himmel hinaufschaute und schallend lachte. Dann fragte er den Richter: »Ist eine Ehe, die im strömenden Regen geschlossen wird, auch wirklich bindend?«
»Ich wüsste nicht, was dagegenspräche.«
Mickey zog seine Smokingjacke aus und drapierte sie mir über die Schultern. »Na, dann machen wir weiter.«
Richter Doyle wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Ich hörte meine Schwester stöhnen, während hinter mir leise gelacht wurde. Ein Blitz zuckte über den Himmel, und der Richter rasselte hastig sein Gedicht herunter und wandte sich Mickey zu, um die Frage zu stellen, die ein ganzes Leben veränderte:
Nimmst du diese Frau …
Der Donner verschluckte ein paar wichtige Wörter, aber Mickey nickte trotzdem. »Ja, ich will. Ich will.«
Dann wandte sich der Richter mir zu. »Lucy, willst du diesen Mann zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen, ihn lieben, achten und ehren, in Gesundheit und Krankheit, in guten wie in schlechten Zeiten, und allen anderen entsagen, bis dass der Tod euch scheidet?«
Ich sah Mickey an, und Freudentränen traten mir in die Augen. »Ich will, unbedingt.«
Wir steckten einander die Ringe an die nassen Finger, und der Richter gestattete Mickey, jetzt die Braut zu küssen. Mickey hob sanft mein Gesicht zu sich empor und küsste mich mitten im Gewitter, und jeder Tropfen fühlte sich an wie ein Segen. Nichts war wichtig außer ihm. Nicht die ruinierte Dekoration des Gartens, keiner unserer Freunde, die nun schleunigst Schutz suchten, nicht einmal Priscillas Wut auf die Wettergötter. Nur er. Ich schlang die Arme um Mickeys Nacken, und sein Smoking glitt von meinen Schultern und fiel zu Boden. Der Regen prasselte auf uns herab, als stünden wir unter der Dusche, und wir konnten nur noch lachen. Er nahm mich auf beide Arme, wirbelte mich herum, und jemand schoss ein Foto, das es auf die Titelseite der
Brinley Gazette
schaffte. (Es gab auch ein Bild von der völlig durchweichten Priss, die der Lokalzeitung mit einer Klage drohte, falls es veröffentlicht würde.)
Dann drängten alle ins Haus, und wir verbrachten den Nachmittag damit, uns die Köstlichkeiten schmecken zu lassen, die Priss bestellt hatte. Unsere Gäste aßen im Stehen, und dennoch waren alle vergnügt und blieben stundenlang.
Meine Hochzeit kommt heute noch manchmal zur Sprache, und die Erinnerung entlockt mir immer ein Lächeln. Und hin und wieder, wenn genauso ein Wetter ist wie an jenem Tag, gehen Mickey und ich nach draußen und tanzen im Regen.
[home]
12
15 . Juni 2011
U nten neben der Lampe hängt ein Foto von einem kleinen Mädchen, das auf dem Schoß eines kräftigen Mannes sitzt. Sie lacht, ihr ganzes Gesicht strahlt vor Freude. Die Augen sind fest zusammengekniffen, der Mund aufgerissen, als kreische sie. Ich glaube, sie ist gerade gekitzelt worden. Der Mann wirkt völlig hingerissen. Man kann beinahe Lucys Lachen aus dem Foto widerhallen hören, und das Versprechen ihres Vaters, dass er sie immer lieben wird.
Ich will genau so ein Foto machen, wenn mein Kind zwei oder drei ist. Ich will dieselbe Liebe in meinem Gesicht sehen, und in dem meines Kindes. Und vor allem will ich ein Mann sein, wie Lucys Vater einer war.
Ich hatte den Plan, mir heute Nachmittag endlich die Rumpelkammer vorzunehmen, doch sobald ich in der Tür stand, wurde mir klar, dass ich zu müde war. Von dieser Art Müdigkeit hatte ich Charlotte bei meiner Untersuchung vor ein paar Tagen erzählt. Damals war ich deshalb besorgt gewesen, aber jetzt wusste ich, dass es nur die Erschöpfung einer Schwangeren war. Ich ging ins Schlafzimmer, und in der Hoffnung, dass
Weitere Kostenlose Bücher