Tanz auf Glas
Mickey einen besseren Tag hatte als ich, rief ich im Club an. Mickeys Partner nahm ab. Jared Timmons klang munter und fröhlich, was keineswegs ungewöhnlich war. Er war durch nichts zu erschüttern und genau deshalb der perfekte Geschäftspartner für meinen Mann. Das war von Anfang an das Rezept ihrer gelungenen Zusammenarbeit gewesen – Mickey brachte die Energie, die Ideen, die Kreativität mit. Jared brachte die vernünftige Einstellung mit, Organisationstalent und die Beharrlichkeit, Dinge durchzuziehen. Diese Kombination ihrer Fähigkeiten hatte die beiden zu sehr erfolgreichen Unternehmern gemacht. Inzwischen gehörten ihnen fünf Clubs, und beide sprangen so oft als Entertainer ein, dass sie eine eigene kleine Fangemeinde hatten.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
»Anscheinend sehr gut. Wir hatten heute Morgen ein Meeting mit dem Connecticut Rotary Club – mit deren hohen Tieren – und Mic war fantastisch. Wahrscheinlich werden sie uns für ihre große Mitgliederversammlung nächstes Frühjahr engagieren.«
»Du meinst also, er sitzt wieder fest im Sattel?«
»Zumindest ist er auf dem besten Weg dorthin. Im Moment kümmert er sich um das Vorsprechen, das wir beschlossen hatten, ehe er nach Edgemont musste. Wir suchen ein bisschen frisches Blut, weißt du? He, er hat mir von eurer großen Neuigkeit erzählt. Wow, Lucy, ein Baby! Wurde aber auch Zeit, muss ich sagen. Kinder sind das Allertollste!«
»Tja, das habe ich auch gehört«, stammelte ich und wurde mir erst jetzt bewusst, dass ich für uneingeschränkte Gratulationen noch gar nicht bereit war.
Jared lachte. »Ich richte ihm aus, dass du angerufen hast, Lucy.«
Ich legte mich hin und wollte mich nur kurz ausruhen, bis Mickey zurückrief. Ich wurde erst zwei Stunden später wieder wach, fühlte mich aber, als hätte ich überhaupt nicht geschlafen. Ich hinterließ eine weitere Nachricht für Mickey und nahm mir dann das Abstellzimmer vor. Zuerst beschloss ich, die altmodischen Harmonikatüren des großen Einbauschranks zu entfernen. Ich wollte ihn innen tapezieren und mit praktischen Regalbrettern und Aufbewahrungsboxen aus Rattan für die Babysachen ausstatten, wie ich es einmal in einer Zeitschrift gesehen hatte. Sobald ich anfing, das Ding auszuräumen, wurde mir jedoch klar, dass das eine schier endlose Aufgabe war.
Ich füllte Müllsäcke mit zerlegten Kartons, Papier und Abfall, einen mit alten Schuhen für die Kleidersammlung und einen weiteren mit einem Haufen Pullis, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Als ich dachte, ich sei endlich fertig, entdeckte ich noch etwas auf dem obersten Ablagebrett. Das Ding hatte ich noch nie gesehen, und ich nahm an, dass es Priss gehört hatte. Die staubige Ledertasche war voller vergilbter Unterlagen, die ich auf den ersten Blick für Schularbeiten hielt. Doch als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass es Liebesbriefe von meinem Vater an meine Mutter waren.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Im Geiste konnte ich meinen Vater immer noch deutlich vor mir sehen: ein großer, stämmiger Mann mit einem ordentlichen Bauch, einem dröhnenden Lachen und starken, sanften Händen. In meiner Vorstellung trug er stets einen schweren Gürtel mit einer Waffe daran und ein silbernes Abzeichen an der Brusttasche. Und dieser Mann hatte Liebesbriefe geschrieben? Ich setzte mich einfach da, wo ich stand, in das Durcheinander und begann zu lesen. Seine wunderschönen Worte machten mich fassungslos. Ich fand sogar ein Gedicht, das ich wiedererkannte. Nicht, weil ich es je gelesen hätte, sondern weil meine Mutter kurz vor ihrem Tod hin und wieder ins Delirium gefallen war und dann diese kunstvollen Zeilen geflüstert hatte. Vor allem eine Stelle hatte sie immerzu wiederholt:
Dein Lächeln ist mein Sonnenstrahl, dein Lachen mein Zuhause, deine Berührung mein Himmel …
Erst jetzt wurde mir klar, dass sie ein Gedicht zitiert hatte, das mein Vater für sie geschrieben hatte, auf vergilbtem Papier, das man ganz vorsichtig auseinanderfalten musste, weil es so brüchig war.
Zwischen all diesen Briefen fand ich auch einen dicken Umschlag, der an einen Lektor bei Doubleday adressiert war, fertig frankiert, aber nie abgeschickt. Ich öffnete ihn und strich die Seiten darin glatt.
Ein Engel für die Prinzessinnen: Ein Märchen
von James Houston.
Wie bitte? Liebesbriefe, Gedichte, und jetzt sogar noch ein Märchen. Wer
war
dieser Mann?
Das Märchen fing so an, wie alle Märchen anfangen …
Es war einmal
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