Tanz der Aranaea (German Edition)
ohne Eltern, wie sie sagten, und erhofften sich von mir eine gewisse Geborgenheit die ich versuchte, ihnen zu vermitteln.
Rudolf Harrer, der blonde zehnjährige Junge mit den keck in die Gegend schauenden blauen Augen, die ebenfalls zehnjährige Elke Heer aus Wülfrath, mit den schwarzen geflochtenen Zöpfen, die so interessiert auf das Geschehen um sie herum blickte und trotz aller Aufgeschlossenheit doch etwas reserviert erschien. Dann die neunjährige Uta Gabrielski aus Breslau mit den feuerroten kurz geschnittenen Haaren und den wild gestreuten Sommersprosse, die fast das gesamte Gesicht bedeckten.
Die achtjährige Maria Strambal aus Königsberg mit ihren semmelblonden halblangen Haaren, die so herrlich das "r" rollen konnte, und der fünfjährige Roland Weizenhöfer, dem ständig die Rotznase lief. Ständig fragte er mich, wann wir endlich in der Schweiz seien. Er musste sich irgendwann eine saftige Erkältung eingefangen haben und ich ranzte alle möglichen Leute an, um ein paar Stofffetzen für seine
Triefnase zu erhalten. Ein lieber Knirps, den die Mädchen sorgfältig in ihre Mitte nahmen. Am späten Nachmittag erreichten wir Dresden-Friedrichstadt, und die Kinder waren müde von unserem uns ewig erscheinenden langsamen Entenmarsch. Die Wolkendecke wurde zunehmend dünner und hie und da blitzte der blaue Himmel etwas hervor. Im Osten war schon die beginnende Dunkelheit zu sehen. Die Kinder drängten mich zum Anhalten und zur Suche nach einem einigermaßen annehmbaren Pausenquartier, außerdem bekamen sie einen riesigen Hunger. Ich konnte ihnen keines von beiden bieten und die innere Unruhe, die ich seit verlassen des Großen Garten in mir habe, zwangt mich zum Weitergehen. Ich wollte noch etwas weiter nach Westen, weg von den Häusern der Stadt Dresden. Hinaus auf die Wiesen am Elbufer. Ich erklärte den Kindern, dass wir von dort besser auf einen der Züge gelangen könnten, als im Hauptbahnhof oder von Friedrichstadt aus. Sie akzeptierten, denn sie wussten nicht, dass dies genauso illusorisch war.
Entlang der Bahnlinie die an Friedrichstadt vorbeiführte, erreichten wir gegen Abend den Dresdener Vorort Cotta. Die Kinder quengelten zunehmend vor Hunger und ich klopfte an eine Haustür des erst besten Hauses, welches wir erreichten. Eine alte Frau, wohl um die achtzig Jahre alt, öffnete die Tür und verstand im Anblick der hungernden und frierenden Kinder, sofort unser Anliegen. Quartier konnte sie uns keines geben, ihr Haus war schon bis unter dem Dachgiebel voll gestopft mit Zwangseingewiesene Flüchtlinge, sie gab mir aber von dem wenigen, welches sie selbst besaß. Für die Kinder ein Laib Brot und etwas Kunsthonig und eine wärmende Decke für die bevorstehende Nacht. Ich wollte ihr das alles bezahlen, doch ich besaß nur englische Währung und einige Dollars, und es wäre nicht sonderlich ratsam für mich, ihr von diesem Geld etwas zu geben und so bedankten wir uns alle zusammen nur sehr herzlich bei ihr, was ihr auch zu genügen schien.
Am Elbufer, in einer kleinen Gebüschgruppe, die uns etwas Sichtschutz bot und auch den aufgekommenen frischen Wind von den Knochen hielt, lagen die Kinder auf dem Boden. So weit als möglich kuschelten sich die Kinder in die wärmenden Decke, die uns die Frau gab. Meine gefütterte Lederjacke diente ihnen als Kopfkissen. Jeder von ihnen kaute auf einem Stück Brot mit Kunsthonig herum und dabei schauten sie mich unablässig mit großen Kinderaugen an.
Ich wusste nicht was sie dachten aber diese Blicke von ihnen ließen mich vergessen, dass ich selbst fror wie ein Wüstenhund und das der Hunger mich sehr quälte.
In der Kürze der Zeit war ich nun fünffacher Papi geworden und ich versuchte meine neue kleine Familie unbeschadet durch diesen Wahnsinn zu geleiten. „Meine Kinder“ bekamen etwas zu Essen, wenn auch nur Brot und Kunsthonig, und dem „Papi“ hing die Zunge bis hinunter zum Bauchnabel vor Hunger und Erschöpfung. Wie es sich gehört für einen sich sorgenden „Papi“!
„Meine Kinder“, das sind die zehnjährige Elke Heer, die neunjährige Uta Gabrielski, die achtjährige Maria Strambal, der fünfjährige Roland Weizenhöfer und Rudolf Harrer, der blonde zehnjährige Junge mit den keck in die Gegend schauenden blauen Augen. Jener Rudolf Harrer, der mir zwanzig Jahre später als Leutnant der Deutschen Demokratischen Republik, in Bejaia, Algerien, begegnete.
***
Fast zwei Stunden Wartezeit im Hauptbahnhof von Bejaia hatte ich
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