Tanz der Engel
gewinnst.«
Christophers Klauenhände verschwanden, kurz bevor er seine Arme vor der Brust verschränkte. Er würde zuhören, aber er war noch nicht bereit, sich auf mein Spiel einzulassen.
»Leider reicht meine Fantasie nicht aus, um mir vorzustellen, wie das aussehen könnte.«
Anstatt ihm auf der Stelle eine dicke Lippe zu verpassen –dazu hatte mein Ellenbogencheck nicht gereicht –, biss ich die Zähne zusammen. Wenn es ihm gelang, mich zu provozieren, hatte ich verloren.
»Falls du gewinnst, komme ich freiwillig mit, lerne jede freie Minute und trainiere bis zum Umfallen. Aber wenn ich gewinne, darf ich Weihnachten mit meinen Eltern feiern.« Beim letzten Satz versagte mir beinahe die Stimme. Doch das war mir egal. Christopher sollte ruhig wissen, wie viel mir daran lag, Weihnachten zu Hause zu sein.
»Und wie genau möchtest du das anstellen?« Christophers Frage klang nicht sarkastisch, sondern neugierig – die Formulierung ärgerte mich trotzdem. Noch einmal atmete ich tief durch, um mich zu beruhigen.
»Indem du nichts benutzt, wozu du Engelskräfte brauchst.«
Christophers Stirnfalte erschien. Er suchte den Haken an der Sache. »Einen Stein zu werfen wäre also okay?«
»Ja. Dem könnte ich ausweichen.«
»Falls du schnell genug bist.
Ich schluckte, selbst seine Stimme war in Angriffslaune.
»Das bin ich, wenn du auf deine Engelsfähigkeiten verzichtest.«
Christopher nickte. »Also auch keine Klauen oder Schwerter.«
»Genau«, – und auch keine Flügel!
»Aron wird dich schinden, und du bist trotzdem bereit, alles zu tun, was er von dir verlangt?«
»Falls ich verliere? Ja!«
»Wenn du es schaffst, mich zu Boden zu ringen, bevor ich dich – ohne Engelskräfte natürlich – in die Eremitage getrieben habe, hast du gewonnen.«
Ich nickte. Bis zur Einsiedelei war es mehr als dreimal so weit wie bis zum Abhang. Genügend Abstand also für das, was ich vorhatte, falls es mir nicht gelang, ihn zu Fall zu bringen.
Christophers Taktik war simpel. Meter für Meter trieb er mich der Einsiedelei entgegen. Sobald ich einen Schritt nach rechts oder links machte, fing er mich ein, packte meine Taille und warf mich, als wöge ich nicht mehr als eine Tüte Popcorn, in die richtige Richtung. Er achtete darauf, dass ich sicher auf den Füßen landete – wahrscheinlich, weil er mich so schneller vorwärtstreiben konnte. Ob ich ihn dabei trat oder mit den Fäusten bearbeitete, störte ihn nicht. Auch den Steinen, die ich nach ihm warf, wich er aus: betont langsam, aber präzise genug, um mir zu zeigen, dass er auch ohne seine Engelskräfte meinen kläglichen Attacken gewachsen war. Erst als es mir gelang, einen Stock zu ergattern, kam Bewegung in Christopher. Doch anstatt sich auch eine Waffe zu holen, verzichtete er darauf – vorerst.
Schon mein erster Hieb saß. Ein Schlag in die Kniekehle. Ich nutzte das Überraschungsmoment und setzte nach.
Christophers Gesicht verzog sich für den Bruchteil einer Sekunde – lange genug, um zu erkennen, dass auch er verwundbar war. Ich freute mich zu früh. Kaum hatte ich mir ein paar Schritte erkämpft, drängte Christopher mich wieder zurück.
Mein Stock traf aufs Neue, doch nicht ich, sondern Christopher hatte den Schlag geplant. Absichtlich ließ er sich treffen, um mir den Stab zu entreißen.
»Mit Aron und Ekin hast du zwei wirklich hervorragende Lehrer. Mal sehen, ob auch ich dir noch etwas beibringen kann.« Christophers Mundwinkel zuckten. Er genoss die Vorfreude auf das Spiel, das jetzt seines war.
»Falls es dir zu viel wird, weißt du ja, wo du Zuflucht findest«, erinnerte er mich an die Einsiedelei.
»Du hoffst darauf, dass ich aufgebe? Ich dachte, du würdest mich besser kennen!« Mit einer Handvoll Sand und Steinen eröffnete ich die zweite Runde.
Während Christopher sich den Staub aus dem Gesicht wischte,flüchtete ich dem Abhang entgegen. Der Stock grätschte mich aus. Kleine Steinchen schürften mir Hände und Knie auf. Die Hose war ruiniert – aber wen kümmerte das schon.
Christopher beobachtete, wie ich wieder auf die Beine kam. Aus seinem Gesicht war jegliche Freude gewichen. Stattdessen zeigte sich die steile Stirnfalte zwischen seinen jadegrünen Augen. Wahrscheinlich dämmerte ihm gerade, wie mein Plan B aussah.
Vorsichtig begann er, den Stock um meine Taille tanzen zu lassen, um mich in die richtige Richtung zu lenken. Ich versteifte mich, drückte meinen Rücken durch und widerstand Christophers Verführungstechnik. Die
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