Tanz der Engel
Rhythmus folgte, zu Hannah, die ein wenig mogelte, indem sie ihr Paddel nicht so tief eintauchte, aber dennoch mehr gab, als ich ihr zugetraut hätte. Schließlich blieben meine Augen an Christopher hängen. Kraftvoll und anmutig zugleich stieß er das Paddel in den See. Die Muskeln, die sich unter seinem T-Shirt abzeichneten, waren in harmonischer Aktion.
Ich seufzte leise. So ein Prachtexemplar hatte ich wirklich nicht verdient. Kein Wunder, warum einige glaubten, die bessere Wahl zu sein.
Verzückt hing ich noch immer an Christophers Traumkörper, als ein dumpfer Fehlschlag die Harmonie der Trommeln durchbrach. Splitterndes Holz, ein überraschter Schrei, dann ein aufWasser aufschlagender Körper. Mit atemberaubender Geschwindigkeit versank Hannah in dem dunklen Blau.
Gänsehaut überzog meinen Nacken, als die Bilder vom Grund des Sees vor meinen Augen auftauchten.
Das Drachenboot schoss weiter. In voller Fahrt war es unmöglich, sofort zu stoppen. Christopher zögerte nicht, warf das Paddel beiseite und sprang Hannah hinterher.
Fantasiegespinste entstanden vor meinen Augen: Hannah, die hilflos im See taumelte, und Christopher, der sie rettete. Der seinen Mund auf ihren presste, um ihr Luft zum Atmen einzuflößen – wie er es bei mir getan hatte, als ich beinahe ertrunken wäre. Mein Körper schrie vor Eifersucht, doch ich hielt mich zurück. Hannah im See sterben zu lassen, nur weil ich es nicht ertragen konnte, Christopher mit einem anderen Mädchen zu sehen, so weit durfte ich nicht gehen.
Erst als er mit Hannah im Schlepptau das Ufer erreichte, drehte ich durch. Viel zu behutsam hielt er sie in seinen Armen. Allzu fürsorglich bettete er sie auf eine weiche, grasbewachsene Stelle, bevor er Puls und Atmung prüfte. Anscheinend gefiel ihm das Ergebnis nicht. Ich hätte schwören können, dass Hannah ihre Ohnmacht nur vortäuschte, um ihr Ziel zu erreichen: Christophers Mund auf ihren Lippen!
Mein Magen begehrte auf – wie immer, wenn ich wütend wurde – und trieb mir Säure ins Blut. In diesem Augenblick wäre ich zu einem Mord fähig gewesen. Dass Christopher sich dann bestimmt vor Hannah und damit gegen mich gestellt hätte, hielt mich davon ab. Dennoch, bleiben und zuschauen konnte ich nicht. Flucht erschien mir das Einfachste. Ein Ausweg, der mir vertraut war.
Es trieb mich zu der Lichtung im Wald, auf der die Maiglöckchen geblüht hatten. Zu der Stelle, wo in Christophers Welt die Kapelle stand, in der er mich zum ersten Mal geküsst hatte. Verzweifelt ließ ich mich in die dunkelgrüne Fülle sinken, verbargmeinen Kopf zwischen den Knien und erlaubte mir zu weinen. Trotz brennender Augen blieben die Tränen aus, als ob mein Körper damit nicht einverstanden wäre. Der zusätzliche Schmerz verstärkte meine Wut und überschwemmte meinen Körper mit Hassgefühlen. Ich brannte innerlich. Voller Zorn schlug ich meine Finger in die weiche Erde, bis ich keine Kraft mehr dazu hatte.
Ich erwachte in der Morgendämmerung. Ein stechender Geruch stieg mir in die Nase. Als ich mich aufsetzte, erkannte ich den Grund: Die ganze Wiese glich einem Schlachtfeld. Abgerissene Blätter, zerfledderte Stängel, entwurzelte Blümchen. Ein wahrer Pflanzenfriedhof. Hier würde so schnell kein Maiglöckchen mehr blühen. Ich hatte alle vernichtet, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern konnte – was mich beinahe noch mehr entsetzte. Ich war schuld an dem Blumenmassaker. Meine Hände lieferten den Beweis. Sie waren erdverkrustet, und unter den Fingernägeln befanden sich grünbraune Ränder, zudem schmerzten sie.
Verwirrt zog ich die Beine an. Trotz des lauen Sommermorgens begann ich zu frieren. Was war nur los mit mir? Eifersuchtsattacken, unkontrollierte Wutausbrüche und dennoch keine Tränen? War ich doch zu schwach, um einen Engel zu lieben? Meine Augen begannen wieder zu brennen. Sie blieben tränenlos. Ich würde das hinbekommen – ich wollte es!
Als die Sonne sich in dem orangegelb gefärbten See widerspiegelte, hatte ich mich so weit gefangen, dass ich zur Schule zurückkehren konnte. Noch vor der ersten Wegbiegung entdeckte ich Christopher, lässig gegen einen Baum gelehnt. Seiner Haltung nach beobachtete er mich schon eine ganze Weile.
»Seit … seit wann bist du hier?«, fragte ich unsicher.
»Beinahe so lange wie du. Abgesehen von den paar Minuten, die ich gebraucht habe, um ein Leben zu retten.« Christophers Stimme klang nicht vorwurfsvoll, aber seine Worte waren es. Ineiner anderen
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