Tanz der Engel
geführt werden. Vermutlich bekommst du eine Extraaufgabe und musst ein wenig Dämonenstaub aus dem Weg gehen oder einem Irrlicht, aber damit kennst du dich ja aus.«
»Und wozu dann das ganze Gekämpfe?«
»Es kommt beim Rat gut an, wenn du deinen Schutzengel etwas unterstützen kannst und nicht wie ein verschrecktes Kaninchen in der Ecke hockst – schließlich soll aus dir kein Schmusehäschen, sondern ein Racheengel werden!«
Da war sie wieder, die Erwartung, die mir Bauchschmerzen bereitete. Aron bildete mich aus, weil ich kämpfen sollte – und töten. Vielleicht legte sich mein Widerwille ja mit der Zeit. Aber wollte ich das überhaupt? Wollte ich ein gnadenloser Jäger werden, der skrupellos seine Opfer zur Strecke brachte?
Die Gewichte auf meinen Schulten wogen plötzlich doppelt so viel. Aron kam mir zu Hilfe und befreite mich von der Last, die mich in die Knie zwang.
»Ich glaube, du hast für heute genug Gewichte gestemmt. Geh zu Chris, und lass dich küssen.«
Da ich nicht nur beim Improvisationsunterricht lernen sollte, mit meinen Engelskräften umzugehen, wartete Christopher heimlich jeden Abend in meinem Zimmer auf mich, um mit mir zu üben. Mir war klar, dass er das nicht machte, damit ich schneller lernte, explosive Kaugummis herzustellen, sondern vor allem, um meine Eifersucht zu besänftigen – Hannah genoss es, ihn vor meinen Augen anzumachen.
Dennoch liebte ich mein neues Fach heiß und innig. Auch wenn es nie lange dauerte, bis ich Christophers Zauber erlag. Immerhin hielt ich schon vielversprechende drei Minuten durch, ohne ohnmächtig zu werden. Schließlich war ich lernfähig – und an Motivation fehlte es mir ganz sicher nicht!
Da das jährliche Feriencamp auf dem Internat mir schulfreie Tage bescherte, füllte Aron meine freie Zeit mit Orientierungsläufen aus. Allerdings war ich nicht die Einzige, die durch den schneebedeckten Wald stapfen und Zettel mit Hinweisen, die zum nächsten Zettel führten, suchen musste.
Für alle Engel, die nach Venedig mitkamen, war die Schnitzeljagd Pflichtübung. Wer am schnellsten das Ziel erreichte, durfte zurück ins warme Schloss und musste nicht die zusätzlichen Aufgaben ertragen, die in etwa so aufbauend waren wie Strafrunden beim Biathlon. Gut, dass ich Liegestütze und Sit-upsgewohnt war – schlecht, dass meine Orientierungslosigkeit Aron noch nervöser werden ließ und mir die Kälte immer noch zusetzte.
»Wie willst du den Campo San Toma finden, wenn du nicht mal weißt, in welchem Stadtteil sich der Platz befindet?«, herrschte er mich an, als ich auf einem der Zettel mal wieder zwei Orte verwechselte.
»Mit Hilfe einer Karte?«, mutmaßte ich, während ich versuchte, meine erfrorenen Finger warm zu pusten.
»Erstens gibt es keine, und zweitens bist du in dem Venedig, das du kennenlernen wirst, verloren, wenn du nicht weißt, an welcher Stelle du wieder auftauchst. Zum Glück bist du nur der Protegé.«
Arons unnötiges Rumgehacke nervte. »Und warum lässt du mich dann die Bilder samt Namen auswendig lernen?«
»Falls du Stefan, Tina oder Marie zugeteilt bekommst. Die haben dasselbe Problem wie du. Bei den Prüfungen seid ihr auf euch allein gestellt, und du solltest dich in Venedig nicht unbedingt verlaufen.«
Warum, erklärte Aron nicht, doch ich wusste, worauf er hinauswollte. Christopher hatte mich gewarnt, dass in der Lagune nicht nur Engel lebten – mehr durfte er mir nicht erzählen.
Wir nahmen den Zug nach Venedig. Ein ganzer Waggon war für uns reserviert, allerdings mussten wir vorher die Welten wechseln. Für mich war das Routine, für meine Mitschüler höchst aufregend, mitten in der Nacht durch ein Internat zu schleichen. Natürlich hatte Aron dafür gesorgt, dass die verbliebenen Internatsbewohner schliefen – wofür gab es schließlich Betäubungstabak?
Niemand sprach, während wir die spärlich beleuchtete Eingangshalle durchquerten. Die Anspannung war greifbar. Obwohl ich die Vorstellung, in meinem Bett zu liegen, währendvier Dutzend Engel durch meine Schule schlichen, wesentlich gruseliger fand.
Aron atmete erst wieder auf, als wir den für uns reservierten Palazzo in Venedig erreichten, wo wir in die Welt der Engel zurückwechselten. Akribisch sammelte er die Wächterbänder ein – auch meines.
»Du wirst es wiederbekommen«, erklärte Aron, als ich ihm das Armband mit dem Engelsmedaillon gab. Seine Unsicherheit war wieder da und steckte mich an.
Nervös lief ich in dem großen, stuckverzierten
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