Tanz der Engel
Situation hätte ich ihm seine Fehler vorgeworfen: seine Nachsicht für Hannahs Anmache. Heute fühlte ich mich nur ausgebrannt.
»Danke – für Hannah. Und … es tut mir leid«, flüsterte ich mit von Tränen, die nicht fließen wollten, erstickter Stimme.
Christopher war keine Sekunde später bei mir, sah mir forschend in die Augen, zögerte und zog mich dann doch in seine Arme. Sein Duft nach Sommergewitter vertrieb den Gestank der verwesenden Blumen, den ich noch immer in der Nase hatte, sein Engelswesen nahm mir die Angst, ihn zu verlieren.
Kapitel 3
Höhenflüge
M ein Zeugnis war besser ausgefallen als erwartet, die Ferien und mein geliebtes Meer rückten in greifbare Nähe. Was konnte schöner sein als die Vorfreude auf einen Sommer mit Christopher?
Schon am Abend vor unserem Flug nach Rom – natürlich mit dem Flugzeug – konnte ich vor Aufregung kaum stillsitzen. Mehrfach kontrollierte ich mein Gepäck, überprüfte meinen Boardingpass und den Wecker.
»Lynn, die Uhr geht noch immer richtig, und falls du verschlafen solltest, werde ich dich wecken.«
»Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?«
»Beides«, antwortete Christopher. »Aber wenn du geküsst werden möchtest, brauchst du es nur zu sagen.«
»Nein danke. In meiner Welt sind solche Foltermethoden schon lange verboten.«
»In meiner nicht.« Mit einem Sprung war Christopher bei mir, schnappte mich an der Taille und warf mich auf mein blaues Himmelbett. In gespieltem Entsetzen kreischte ich auf und versuchte, mich unter ihm hervorzuwinden. Christopher verstärkte seinen Griff und erstickte meinen Protest mit einem innigen Kuss.
»Und falls du es noch nicht weißt«, raunte er während einer Atempause, »bei uns sind die Frauen ihren Männern untertan.«
Für den Bruchteil einer Sekunde versteifte sich mein Körper, doch das genügte, um Christopher in schallendes Gelächterausbrechen zu lassen. Ich kämpfte mich frei und kletterte aus dem Bett. Seine Reaktion ärgerte mich. Noch bevor ich Zeit zum Nachdenken hatte, schlug ich zurück.
»Dann such dir besser jemanden, der auf so was steht.« Ich war schneller bei der Tür als Christopher. »Meine Freunde warten. Wenn du dich wieder beruhigt hast, kannst du ja nachkommen – falls du es erträgst, wenn ich nicht allem zustimme, was du von dir gibst.«
Schon während ich die Treppen zur Eingangshalle hinunterlief, verrauchte meine Wut. Offenbar hatte ich nach dem ganzen Stress in letzter Zeit Ferien dringend nötig.
Christopher kam eine halbe Stunde nach mir in die Schuldisco, wo heute die Sommerferienparty stattfand. Er schien mir verziehen zu haben, dass ich so zickig auf seinen Scherz reagiert hatte.
Erst am nächsten Morgen rächte er sich – zumindest fühlte es sich so an. Nachdem er sich beim Frühstück nur kurz in der Mensa hatte blicken lassen, beschloss ich, eine Stunde bevor der Bus uns zum Flughafen nach Berlin bringen sollte, bei ihm vorbeizuschauen.
Christopher manövrierte mich aus seinem Zimmer, das er mit Frederik teilte, einem ebenso dicklichen wie dümmlichen Ex-Zwölftklässler. Natürlich hatte ich nichts dagegen, mit ihm allein zu sein, weshalb wir im Schloss – in meiner Kammer unterm Dach – landeten. Doch anstatt die Gelegenheit zu nutzen, starrte Christopher gedankenverloren zu einer der Dachluken hinaus.
Mir wurde ein wenig mulmig, da ich befürchtete, dass sein Schweigen etwas mit unserer Auseinandersetzung am Tag zuvor zu tun hatte. Ein kleiner Satz genügte, um Panik in mir auszulösen – und Hilflosigkeit.
»Ich werde heute nicht mit dir nach Rom fliegen.«
Ich zwang mich zur Ruhe und dazu, nicht nach dem Grunddafür zu fragen, um nicht hysterisch rüberzukommen. So ganz gelang mir das nicht. »Und wann kommst du nach?«
Christopher drehte sich zu mir um. Er schien von meiner Gelassenheit überrascht zu sein und machte einen Schritt auf mich zu. Vorsichtig, als befürchte er, ich könne zubeißen, berührte er meine Wange. Da ich stillhielt, begann er, meinen Nacken zu streicheln, was mir – trotz meiner üblen Vorahnung – ein angenehmes Prickeln den Rücken hinunterjagte.
»Das kann ich nicht sagen«, antwortete er.
Meine Vorfreude auf gemeinsame Ferien mit Christopher bekam Risse. Trotzdem versuchte ich, gelassen zu bleiben. Doch Christopher spürte meinen Kummer und zog mich zu sich.
»Aber ich werde bei dir sein.«
Ich klammerte mich an ihn und an seine Worte. Sie gaben mir Halt. In den letzten Wochen war ich oft genug
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