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Tanz der Engel

Tanz der Engel

Titel: Tanz der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Itterheim , Diana
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ihn ihr erster Höhenflug mitgenommen hatte. Seine Reaktion beruhigte mich nicht gerade, weshalb meine Anspannung weiter wuchs.
    Auch bei mir verwandte Stefano die gleiche Sorgfalt wie bei seiner Freundin. Ausführlich erklärte er mir, was ich zu tun hatte, bevor er mir – natürlich ohne Kuss – den Helm aufsetzte und das Headset prüfte, das ich nach meinem Start abschalten wollte.
    »Und denk daran«, setzte er mit einem prüfenden Blick hinzu. »Nach den Sträuchern gibt es kein Zurück mehr. Dann musst du fliegen – ob du willst oder nicht.«
    »Ich will!«, entgegnete ich selbstsicher, obwohl ich das nicht war.
    Stefano nickte. Er nahm mir die Lüge ab und gab mir das Startkommando. Vor dem ersten Schritt schloss ich kurz die Augen und atmete noch einmal tief durch. Auch wenn Christopher nicht sichtbar war, hier sein konnte er trotzdem – doch ich roch und spürte nichts. Trotzig lief ich los. Einen Racheengel herauszufordern, verlangte keine Geduld, sondern Mut.
    Die Sträucher, vor denen ich den Start abbrechen konnte, waren nur noch ein paar Schritte entfernt. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf. Wollte Christopher, dass ich sprang? Wollte er sehen, ob ich mutig genug war? Stark genug? Oderhatte mein Schutzengel vergessen, ihn zu informieren? Besaß ich überhaupt noch einen?
    Meter für Meter rückte die Felskante näher. Die Leere, in der sie sich verlor, weckte verborgene Erinnerungen: die Tiefe des Sees und die Dunkelheit, die mich in das Reich der Totenwächterin gezogen hatte, breiteten sich vor mir aus. Panik überfiel mich. Grauenhafte Bilder von dämonenhaften Gestalten überschwemmten meine Gedanken. Zeigten mir, wie sie mit bestialischer Gier über meinen am Berg zerschellten Körper herfielen und ihn in tausend Stücke rissen. Unmöglich, sie zu vertreiben. Es gab nur eines, das ich stoppen konnte: meinen Drachen. Ich musste bloß den Steuerbügel nach vorn drücken und der Albtraum wäre vorbei.
    Gelber Staub wirbelte über das Felsplateau. Beißender Schwefelgeruch raubte mir den Atem, als ich die Sträucher erreichte. Ich schnappte nach Luft. Ein übler Geschmack füllte meinen Mund. Ich schluckte ihn hinunter. Meine Zunge wurde taub. Danach verabschiedete sich mein Geruchssinn. Wenigstens konnte ich noch sehen, worauf ich zuhielt.
    »Lauf weiter, Lynn. Jetzt hast du den perfekten Winkel«, hörte ich eine Stimme über Kopfhörer. Das unerwartete Lob spornte mich an. Ich vergaß, dass ich gerade noch abbrechen und den Bügel nach vorn drücken wollte, und rannte weiter: an den Büschen vorbei, dem Abgrund entgegen. Kurz bevor ich die Kante erreichte, erhielt ich den Befehl, den Steuerbügel dichter heranzuziehen. Und obwohl es sich falsch anfühlte und mein Instinkt mir riet, das auf keinen Fall zu tun, befolgte ich die Anweisung.
    Ich schrie, als ich den Boden unter meinen Füßen verlor. Überrascht und entsetzt zugleich: Ich war tatsächlich über die Kante gesprungen. Der Drachen sackte ab. Mein Herz trommelte schmerzhaft gegen meine Rippen. Etwas lief schief. Anstatt auf dem Wind wieder nach oben zu gleiten, tauchte er nachunten. Panisch steuerte ich dagegen, doch der Drachen entzog sich meiner Kontrolle, drehte Richtung Berg und steuerte direkt auf die Felswand zu.
    Metallrohre prallten gegen Stein. Drachenhaut zerriss an dornigen Ästen. Die Unterverspannung verhedderte sich an den knorrigen Bäumen, die ihre Wurzeln tief in den kargen Fels geschlagen hatten. Etwas Scharfkantiges streifte meinen Arm. Mein Engelsarmband löste sich und verschwand in der Tiefe.
    Aufgeregte Stimmen riefen meinen Namen, doch ich war nicht fähig, zu antworten. Gähnende Leere lag unter mir und nur ein paar dünne Schnüre bewahrten mich vor dem Fall.

Kapitel 4
Verfluchte Engel
    S tefanos Stimme erklang über den Kopfhörer. »Lynn, gib mir ein Zeichen, wenn du mich hören kannst.« Er hatte seine Gelassenheit verloren. Nicht nur ich schob Panik.
    Aus Angst, mit einer falschen Bewegung den Drachen aus seiner unsicheren Verankerung zu lösen, antwortete ich mit einem vorsichtigen Nicken. Doch mein Körper hielt sich nicht an meine Vorgabe, stillzuhalten, und begann zu zittern. Ich schloss die Augen, um den gähnenden Abgrund unter mir auszublenden. Wenn es einen Zeitpunkt in meinem Leben gab, wo ich einen Engel bitter nötig hatte, dann in diesem Moment.
    Der Aufwind vom Tal zerzauste meine Haare, aber er brachte nur Wärme mit sich, kein Zeichen von aufziehendem Sommergewitter. Christopher

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