Tanz der Engel
befreite er mich aus dem Rettungsgurt und übergab mich an Philippe. Kurz darauf knickten meine Beine weg.
»Das nächste Mal gehst du lieber wieder mit mir tauchen«, versuchte Philippe mich aufzumuntern, während er mich festhielt – ich lachte nicht: Ertrinken war auch nicht besser als abstürzen.
Philippe trug mich zur Hütte. Nicht zum ersten Mal kümmerte er sich um meine Wunden und verhalf mir zu ein wenig Ruhe. Selbst Lucia schickte er aus dem kleinen Schlafzimmer, das Marcello uns überlassen hatte. Der Blick, den sie mir hinter seinem Rücken zuwarf, sprühte vor Ärger. Trotzdem ließ ich Philippes Hand nicht los – schließlich besaß ich die älteren Rechte.
Nachdem mein Körper endlich aufgehört hatte zu zittern, fiel ich in einen leichten Schlaf. Ich glaubte, Christopher neben mir sitzen und meine Hand halten zu fühlen, doch ich wusste, dass er es nicht war. Er war nicht hier. Spätestens jetzt hätte ich sein Engelswesen gespürt.
Wollte oder konnte er nicht kommen? Weil er mir geholfen hatte, dem Totenreich zu entfliehen? Durfte er mich nicht mehr sehen, oder hatten ihn die Engel zu etwas anderem verurteilt? Etwas Schlimmerem?
Mein Herz krampfte sich zusammen. Die Sorge um Christopher schmerzte mehr als all meine Verletzungen. Ob es den Engeln gefiel oder nicht, war mir egal. Ich jedenfalls brauchte Gewissheit, und ich wusste, wo ich eine Antwort finden konnte.
Als ich aufwachte, lag mein Arm in den Händen eines anderen. Der herbeigerufene Arzt fühlte meinen Puls und untersuchte mich gründlich nach verborgenen Verletzungen. Zur Sicherheit beauftragte er Stefanos Vater, mich ins Krankenhaus zu bringen, um herauszufinden, ob mein Knie mehr als blaueFlecken abbekommen hatte. Darüber, dass mein Nasenbein angebrochen war, schien er sich sicher.
Der Verdacht mit der Nase bestätigte sich, doch der Rest an mir war in Ordnung – soweit es meine äußere Hülle betraf. Innerlich fühlte ich mich verwundet. Alleingelassen.
Philippe und Stefano informierten meine Eltern, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Emilia, die meinen Absturz hatte mit ansehen müssen, schien immer noch unter Schock zu stehen, als sie mich am Abend zu Hause besuchte, weshalb Stefano zu einem schnellen Aufbruch drängte. Er nahm auch Antonio mit, der Witze über mein Nasenpflaster machte. Nur Philippe blieb ein wenig länger, bevor er zu Lucia aufbrach.
Zwei Tage später holte er mich zu meinen Romtrip ab – ohne Freundin. Lucia war nach Venedig abgereist, um sich an der Uni für Kunstgeschichte einzuschreiben. Anscheinend hatten wir neben langen dunkelbraunen Haaren und einer Freundschaft zu Philippe noch etwas gemeinsam.
Philippes Studentenbude war Lucias Handschrift abzulesen. Zugegeben, sie hatte Geschmack, auch wenn es für mich jetzt nicht mehr allzu viel zu tun gab. Was brauchte ein Student neben einer voll eingerichteten Essküche, einem bequemen Bett, einem roten Designersofa mit passendem Beistelltisch, zwei Sesseln und einem 3-D-Fernseher noch?
»Hast du im Lotto gewonnen?«, fragte ich Philippe, nachdem er die Führung durch sein Zwei-Zimmer-Apartment beendet hatte.
»Nein. Ich … Lucia hat mich ein wenig unterstützt«, gab er zu. »Sie hat mir auch den Job im Café besorgt«, erklärte er verlegen.
»Du jobbst in einem Café?!« Philippe als geschniegelten Kellner, der Espresso servierte, konnte ich mir nur schwer vorstellen.
»Das Trinkgeld ist gut.«
»Und was ist mit deinem Studium?«
»Während des Semesters kellnere ich nur abends und bloß in der Hauptsaison auch am Nachmittag.«
So langsam dämmerte mir, warum Philippe mit dem Job erst jetzt rausrückte.
»Aber solange du hier bist, arbeite ich nur nachmittags. Und damit du dich nicht langweilst, habe ich eine extra für dich ausgearbeitete Liste, auf der steht, was du dir alles anschauen kannst, während ich ehrliches Geld verdiene.«
Philippe kramte einen Zettel aus seiner Hosentasche, der eindeutig nicht mit seiner krakeligen Handschrift beschrieben war. Auch diesmal musste ich gestehen, dass Lucia Stil besaß. Die größten Touristenattraktionen wie das Kolosseum oder die Sixtinische Kapelle – die ich natürlich schon kannte – standen nicht darauf. Stattdessen empfahl sie mir, ein paar der weniger bekannten Kirchen und Plätze, einige Museen und die Katakomben zu besuchen.
»Du weißt ja, ich bin nicht unbedingt der beste Begleiter in Sachen Kultur«, versuchte Philippe seine Verlegenheit zu überspielen.
»Dafür ist dir die
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