Tanz der Engel
weshalb ich Halt an der rauen Steinwand suchte.
»Na, du wirst mir doch nicht etwa umkippen? Nachdem du so tapfer deinen tiefen Fall überstanden hast.«
Sollte ich noch einen Rest Farbe im Gesicht gehabt haben, so war er jetzt sicher verschwunden. Sanctifer, Christophers ehemaliger Tutor und einer meiner größten Albträume, stand vor mir.
»Für Mund-zu-Mund-Beatmung bin ich nicht zuständig. Da solltest du besser Christopher fragen.«
Ein Funke Eifersucht mischte sich unter meine Angst. Ich hielt ihn fest und verstärkte ihn mit meiner Wut auf Christopher, meinem Ärger über Raffael, Sanctifers Ziehsohn, und meinem Zorn auf ihn. Das half mir, aus meiner Schockstarre zu erwachen.
»Lieber würde ich ersticken, als deinen Gestank zu ertragen!«
»Du duzt mich?!« Mein Gegenüber täuschte Empörung vor. »Das Euch gefiel mir wesentlich besser.«
»Das kannst du vergessen!«
Sanctifer zog fragend eine Augenbraue nach oben. »Das werden wir sehen. Jedenfalls solltest du dich auf deine Manieren besinnen, wenn du vor einem Engel stehst.«
»Wozu? Ich spreche mit keinem mehr.«
»Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Christopher hat Wichtigeres zu tun, als auf dich aufzupassen.«
Ich presste meine Lippen zusammen, damit mir nicht noch eine unbedachte Bemerkung herausrutschte.
»Er bevorzugt Venedig – obwohl ich finde, dass auch Rom einen gewissen Reiz besitzt. Doch dieser scheint ihm genauso wenig zu genügen wie deine Anziehungskraft.«
Ich ignorierte Sanctifers Spott. Wenn Christopher tatsächlich in Venedig wäre, hätte er bei mir vorbeigeschaut – es sein denn, er wurde unfreiwillig dort festgehalten. Sanctifer lächelte. Er ergötzte sich an meiner allzu offensichtlichen Hilflosigkeit. Miteinem Griff unter sein schwarzes Hemd zauberte er eine rote, aufwendig mit Gold- und Silberfäden bestickte Hülle aus seinem Hosenbund.
»Vielleicht wird dir das helfen, deine Chancen bei Christopher zu verbessern.«
Mein Atem stockte. Ich kannte den Dolch, dessen Heft aus der Scheide ragte. Der Griff war prunkvoll verziert, mit Edelsteinen und einem rot leuchtenden Rubin. Sanctifer hatte mir damit die Kehle aufgeschlitzt. Erschrocken trat ich einen Schritt zur Seite und berührte die Narbe an meinem Hals, die mir von seinem Angriff geblieben war.
»Keine Sorge, ich werde dir nichts tun. Ich habe alles, was ich wollte.« Mit einer schnellen Bewegung widerlegte er seine Worte und zückte den Dolch. Blut klebte an der gebogenen Klinge. Meines – oder das des Opfers nach mir.
Ich wich weiter zurück, krallte meine Finger in die steinerne Wand hinter meinem Rücken und befahl meinen Händen, mit dem Zittern aufzuhören. Wenn Sanctifer mich töten wollte, hätte er das längst getan.
»Warum bin ich hier, wenn Ihr bereits alles habt, was Ihr wollt?« Ich biss mir auf die Lippe, als ich meinen zweifachen Fehler bemerkte. Auch wenn mein Gegenüber sich wie ein Engelsfürst benahm, war das noch lange kein Grund, vom Du auf das Ihr zu wechseln.
Mir wurde kalt. Manipulierte er mich etwa?
Sanctifers blaue Augen funkelten befriedigt. »Wie ich sehe, bist du lernfähig. Hoffentlich vergisst du dich nicht wieder. Aber ich bin nicht hier, um dich zu erziehen, sondern um etwas zurückzugeben.« Auffordernd hielt er mir den Dolch entgegen.
Ich zögerte. Was sollte das? Sah ich aus wie ein himmlischer Postbote?
»Na los. Nimm ihn! Christopher ist schon lange auf der Suchedanach – es ist ein Erbstück. Sicher kannst du sein Herz ein wenig erweichen, wenn du ihm den Dolch bringst.«
»Das habe ich nicht nötig!«, schoss ich zurück. Warum sollte ich Sanctifer glauben? Außerdem wusste ich nicht, ob und wann ich Christopher wiedersehen würde, nachdem er in letzter Zeit nicht gerade meine Nähe gesucht hatte.
Sanctifer schien mein Dilemma zu kennen. »Raffael und der Dolch werden dir weiterhelfen. Es gibt mehr als einen Zugang zum Schloss der Engel. Außerdem bin ich dir noch etwas schuldig – und ich hasse es, wenn gegebene Versprechen nicht eingehalten werden.«
Bevor er seine Lippen spitzte, sah ich noch, wie er in seine Hosentasche fasste. Sein Mund verzerrte sich zu einem Lächeln, als ich das Pulver einatmete, das er mir ins Gesicht blies.
Ich erwachte in einer schmalen Grabnische. Neben mir der verhüllte Dolch und ein paar Überreste des Verstorbenen, der vor mir hier ablegt worden war. Trotzig unterdrückte ich mein Bedürfnis zu schreien, zwängte mich aus der engen Ruhestätte und begann, den
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