Tanz der Engel
doch mit ihm Urlaub in Italien machen?!«
»Ich war in Italien. Allerdings ohne Chris.« Das betretene Schweigen, das nicht mal von Juliane gebrochen wurde, machte es mir nicht leichter. »Und ich kann euch auch nicht sagen, wo er steckt.«
»Was? Er hat dich versetzt?«, hakte Juliane neugierig nach.
Marisa mischte sich ein und legte eine Hand auf ihren Arm, um sie zum Schweigen zu bringen. »Sicher gab es einen Grund, warum er nicht zu Lynn kommen konnte.«
»Bestimmt gab es den. Allerdings hat er mich darüber im Unklaren gelassen.«
Als meine Freunde begriffen, dass ich die ganze Zeit vergeblich auf Christopher gewartet hatte, trat ein mitleidvoller Zug in ihre Gesichter, der mich wütend machte. Ich wollte kein Mitleid.Wer so blöd war, sich in einen Engel zu verlieben, und noch blöder, auf ihn zu warten, der hatte partout wohl nichts anderes verdient.
Es hatte mich einige Zeit gekostet, zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Sie half mir, meine Gefühle in den Griff zu bekommen, damit ich weiterleben konnte, ohne nochmals das Bedürfnis zu verspüren, mich von einem Felsen zu stürzen, um einen Engel zu provozieren.
»Und … und du weißt auch nicht, ob er hier wieder zur Schule gehen wird?«, fragte Juliane vorsichtig.
Ich speiste sie mit einem kurzen »Nein« ab. Wenn sie wissen wollte, wo er war, sollte sie es doch selbst herausfinden oder warten, bis er wieder in Erscheinung trat. Darüber, ob ich ihm den Dolch dann einfach nur geben oder zwischen die Rippen stoßen würde, war ich mir noch nicht im Klaren.
Im Gegensatz zu Hannah, die täglich neue Spitzen abschoss wie »Haben deine faden Küsse Christopher vertrieben?« oder »Hat er endlich erkannt, wie langweilig du bist?«, hielt Raffael sich erstaunlicherweise zurück. Ich hatte damit gerechnet, dass er mir sofort nach meiner Ankunft im Internat verraten würde, was ich tun musste, um ins Schloss der Engel zu gelangen. Meiner Einschätzung nach verbarg Sanctifers Versprechen einen monströsen Haken – wenn es überhaupt stimmte, dass es neben der nicht mehr vorhandenen Kellertreppe einen zweiten Zugang gab. Ich würde mich jedenfalls nicht noch einmal zum Narren machen und danach suchen.
Natürlich tat ich es trotzdem. Am Morgen nach meiner Geburtstagsparty hielt ich es nicht mehr aus und schlüpfte in den unter der großen Treppe der Eingangshalle verborgenen Putzraum. Ganze drei Wochen lang hatte ich gehofft, dass Christopher auftauchen würde. Als ich gemeinsam mit meinen Freunden in der Schulbar meinen Geburtstag und unseren letzten Abend vor der Sprachreise nach Kanada feierte und Geschenkeauspackte, hoffte ich immer noch auf ein Zeichen oder wenigstens eine Nachricht von ihm.
Alle, die ich mochte, hatten an mich gedacht. Von meinen Eltern kam ein riesiges Paket, gefüllt mit zwei Winterpullis, drei langärmeligen Blusen, einem neuen Kosmetiktäschchen samt Inhalt, Süßigkeiten und einem großzügigen Shopping-Gutschein. Meine Internatsfreunde hatten zusammengelegt und mir eine Kamera geschenkt, damit ich nicht immer Bilder mit meinem Handy machen musste. Antonio versprach mir einen Kinobesuch. Stefano und Emilia schickten mir ein paar Fotos von unseren gemeinsamen Strandtagen, einen Gutschein über eine Entspannungsmassage und ein Essen bei Emilias Eltern.
Philippes Geschenk jedoch setzte allem die Krone auf. Aus seinem Päckchen wickelte ich einen silbernen Schlüsselanhänger. Einen Schutzengel, der auf mich aufpassen sollte. Ich war hin- und hergerissen, ob ich ihn behalten oder wegwerfen sollte. Doch da es ein Geschenk von Philippe war, behielt ich ihn, verstaute den Anhänger aber hinten in meiner Schreibtischschublade, damit ich ihn nicht ständig vor Augen hatte.
Umgeben von Putzmitteln, Besen und Wischmopps begrub ich schließlich die Hoffnung auf ein verspätetes Geburtstagsgeschenk von Christopher in Form von Stufen, die mich zu ihm brachten. Auch wenn meine Freunde sich bei meiner Geburtstagsparty alle Mühe gegeben hatten, mich aufzumuntern, fiel es mir jetzt schwer, meine Enttäuschung länger zurückzuhalten.
Christopher hatte mich vergessen!
Traurig schloss ich die Wandtür hinter mir, um in mein Zimmer zurückzukehren – und stand Raffael gegenüber. Er war einer der Letzten, die mich so niedergeschlagen sehen sollten. Am liebsten hätte ich ihn einfach ignoriert und wäre an ihm vorbeigegangen, doch das Kästchen, das er in seinen Händen trug, hielt mich auf. Es kam mir bekannt vor. Es war mein Kästchen! Das
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