Tanz der Engel
Burg thronte, in der Christopher aufgewachsen war, standen zwei Engel mitten in einem Baumkreis aus uralten Linden.
Ich hielt den Atem an. Irisierendes Licht und nachtschwarze Schatten. Unterschiedlicher konnten die Farben der Flügel kaum sein.
»Sanctifer«, flüsterte ich, während meine Beine mal wieder drohten, unter mir wegzuknicken.
»Nein. Sieh genau hin! Ekins Flügel sind dunkelblau, nicht schwarz. Und auch seine Waffe ist anders. Außerdem ist er blond.«
Als Ekin mit einer Drehung auf Christopher losstürmte, konnte ich sein Gesicht sehen und die nachtblau leuchtende Waffe in seiner Hand. Mein Körper bebte, als sie auf Christophers Schwert traf und sich eine Welle purer Energie ausbreitete.
Tief in meinem Innersten regte sich etwas. Aber ich wusste nicht, ob es gut oder böse war. Mein Verstand warnte mich davor, dem Kampf zuzusehen, doch ich konnte nicht widerstehen. Christopher in seiner Gestalt als Engel kämpfen zu sehen, weckte nicht nur dunkle Erinnerungen.
Hochkonzentriert führte er sein sternfunkelndes Schwert, wehrte den Angriff seines Gegners ab und drängte ihn zurück. Sein durchtrainierter Körper war wie geschaffen für einen Kämpfer: geschmeidig und dennoch kraftvoll, beweglich und leichtfüßig wie ein Tänzer, doch unnachgiebig, wenn es darauf ankam, einen Schlag abzuwehren.
Aber nicht nur Christophers Können und seine perfekten Bewegungen faszinierten mich. Der Kampf selbst zog mich in seinen Bann. Jeder Treffer weckte mit seinem Klang etwas, das inmir verborgen lag. Es schmeckte nach Stärke und Macht. Gefährlich und wild.
Ich versuchte, das Gefühl zu unterdrücken. Doch es gelang mir nicht. Je mehr ich es niederzwang, umso stärker bäumte es sich auf, drängte nach außen und forderte mich heraus.
Mein Blick begegnete Christophers. Er hatte mich entdeckt – oder gespürt. In seinen Augen stand helles Jadegrün. Ob vom Kampf oder meinetwegen, wusste ich nicht. Doch es erschreckte mich zutiefst. Er verabscheute mich – oder das, was ich wurde.
Aron schob sich vor mich und verwehrte mir die Sicht. Ich war ihm beinahe dankbar dafür, doch die Intensität, mit der er mich ansah, verriet ihn: Es war kein Zufall, dass ich Christopher beim Kampftraining zusah. Aron wusste, dass ich reagieren und den Dämonenteil in mir spüren würde, sobald ich Christopher kämpfen sah.
Kapitel 8
Meisterhafte Lügnerin
I ch zog mich in mein Zimmer zurück. Verkrümelte mich in mein Bett, starrte entweder in den Himmel über mir oder auf den dunkelblauen Teppich. Blau schien mich zu beruhigen. Leider hinderte es mich nicht am Nachdenken: Fragen zu stellen, was aus mir wurde. Wie viel Zeit mir die Engel noch gaben. Wie es sich anfühlte, etwas Böses zu sein – und zu sterben.
Aron ließ mich für den Rest des Tages in Frieden. Er hatte mich so weit. Meine Gegenwehr war gebrochen. Und war es nicht das, was er wollte?
Doch anscheinend genügte es ihm nicht, dass ich still vor mich hin litt. Am nächsten Tag schleppte er mich zum Lanzetraining. Dank des schönen Wetters fand es draußen auf der Übungswiese statt, wo auch das Bogenschießen unterrichtet wurde.
Mit zusammengepressten Lippen, das Kinn auf den angewinkelten Knien, saß ich neben Aron auf einer der Steinbänke und beobachtete, wie die Engelschüler trainierten. Sebastian, der Hüne, war mit Leonie, dem Lockenköpfchen, in einer Gruppe. Wie immer agierte Leonie taffer, als ihr niedliches Puppengesicht das vermuten ließ. Erika und Markus, der blasse Jungengel, der einen Tag nach mir Schüler im Schloss der Engel geworden war, übten mit Susan und einem Jungen, den ich nicht kannte. Christopher leitete sie an. Er vermied es, zu mir herüberzuschauen – ich dagegen konnte meine Augen mal wieder nicht von ihm lassen. Und auch nicht das elektrisierende Gefühl aufhalten, das durch meinen Körper rauschte, als Christophermit tänzerischer Leichtigkeit begann, sein Können an der Lanze zu demonstrieren. Gewaltsam zwang ich mich wegzuschauen.
»Muss das wirklich sein?«, fragte ich Aron.
»Springen wolltest du ja nicht – oder hast du deine Meinung geändert? Dämonenflügel würden dir sicher gut stehen.«
Ich funkelte ihn böse an, wobei ich darauf achtete, dass das Böse nicht überhandnahm.
»Um herauszufinden, was du bist, gibt es nicht viele Möglichkeiten.«
»Wozu die plötzliche Eile? Hast du das Babysitten langsam satt und willst deshalb das Ganze beschleunigen? Oder kannst du es wirklich nicht erwarten, mich als
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