Tanz der Engel
weil meine Kehle wieder schmerzte. Ich war keine Sie mehr, nur noch ein Es. Ein Tier, eine bösartige Kreatur.
Eine unbekannte Angst stieg in mir auf, die ich kaum kontrollieren konnte. Bilder von scheußlich verzerrten Gestalten mit ausgefransten Flügeln und kleinen Hörnern, die rechts und links neben dunklen Augenhöhlen mit rotglühenden Pupillen steckten, entstanden vor meinen Augen. Sie tanzten im Feuer wie wild gewordene Derwische – und eine von ihnen sah aus wie ich!
Mein Versuch, die Augen zu öffnen, um das Trugbild zu vertreiben, scheiterte kläglich. In der Dunkelheit tanzten sie weiter, sammelten sich in dem düsteren Raum und stürzten auf mich zu.
Ich wollte schreien, doch ich konnte nicht. In meinem Hals brannte ein Feuer, das jedes Wort in ein Röcheln verwandelte. Panisch versuchte ich aufzuspringen und meinem Albtraum zu entkommen. Aber es ging nicht. Mein Körper widersetzte sich meinen Befehlen. Weder meine Arme noch meine Beine ließen sich bewegen. Sie waren festgetackert!
»Aron!«, schrie ich und hörte mein Brüllen von den Wänden widerhallen. Es klang hohl und dumpf. Wie in einer Höhle – oder einem Kerker.
Wütend zerrte ich an meinen Fesseln. Sie bewegten sich kein Stück – vielmehr bewegte ich mich kein Stück. Mein Körper war nicht festgebunden oder weigerte sich zu gehorchen, vielmehr schien er von meinem Geist abgeschnitten zu sein. Als wäre meine Hülle vom Hals ab gelähmt – oder tot. Ich fühlte rein gar nichts. Keine Hände. Keine Beine. Nicht einmal meinen Rücken, auf dem ich lag. Das Einzige, was außer meinem Kopf anscheinend noch funktionierte, war mein Herz. Hektisch trommelte es in einem viel zu schnellen Rhythmus.
Ein Geruch nach Verwesung strömte mir entgegen. Aus dem Nichts hielten zwei Hände mein Gesicht fest. Ich bemühte mich, ihnen zu entkommen, doch sie ließen es nicht zu.
»Mach die Augen auf und sieh mich an!« Arons Befehlston erschreckte mich. Er bemerkte es und wurde sanfter. »Lynn, bitte, versuch es. Du schaffst das.«
Die Zuversicht in seiner Stimme gab mir Halt. Es war nur Aron – keine tanzenden Dämonen.
Das rötliche Licht, das er mitgebracht hatte, schmerzte in meinen Augen, obwohl es nicht heller als der Schimmer einer Kerze war. Wie flüssiges Wachs kroch es meinen Sehnerv entlang.
»Dämlicher Engel!«, zischte ich zwischen den Zähnen hindurch, ließ aber meine Augenlider offen.
»Gut so«, kommentierte er mein Durchhaltevermögen. »Und jetzt sieh mir in die Augen.«
Seine Stimme schien magische Fähigkeiten zu besitzen – zumindest tat ich, was er wollte, auch wenn ich sie ihm lieber ausgekratzt als hineingesehen hätte. Der rote Schimmer über dem steinernen Grau seiner Iris verstärkte sich, als sich sein Blick in meine Augen bohrte. Mein Atem ging schneller, meine Pupillen weiteten sich. Nackte Angst überfiel mich – Aron hatte seine Engelsgestalt angenommen.
Seine Hände lagen um mein Gesicht wie ein Schraubstock,während sein Blick sich tief in mich hineinbohrte. Panisch versuchte ich, mich zu befreien. Doch mit einem gelähmten Körper und einem fixierten Schädel blieben mir nicht viele Möglichkeiten, Aron loszuwerden. Um genau zu sein, nur eine: die Augen zu schließen.
Es kostete mich alle Kraft, diese kleine Bewegung hinzubekommen. Keuchend rang ich um Atem, nachdem ich Arons Bann entkommen war. Er ließ mich in Frieden – zumindest, was den Blickkontakt betraf, nutzte aber meine Schwäche, um mir seinen heißgeliebten Engelstee einzuflößen.
Ich wehrte mich, spuckte das ekelhafte Gebräu aus und biss ihn in die Finger. Weder seinem Bitten noch seinen fadenscheinigen Erklärungen – der Tee würde mir helfen – konnte ich glauben.
Schließlich zwang er meine Zähne auseinander und schüttete mir die Flüssigkeit in den Mund. Sie schmeckte nach Brennnesseln und fühlte sich auch so an. Aron hielt mir Mund und Nase zu, als ich mich weigerte, zu schlucken.
»Sadistischer Scheißengel!«, gurgelte ich, als er mir Zeit zum Luftholen gönnte, bevor er mir die nächste Ladung einflößte.
Die Wirkung setzte schnell ein. Ein taubes Gefühl legte sich auf meine Zunge und linderte den Schmerz in meinem Hals. Wahrscheinlich lähmte sie auch den Rest von mir und war schuld an meiner Wehrlosigkeit. Leider wirkte sie nicht auf mein Gehirn. Gnadenlos arbeitete es weiter und stellte eine Frage nach der anderen:
Wo war ich? Da Aron das Licht wieder mitgenommen hatte, war es stockdunkel. Obwohl ich meine Augen
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