Tanz der Engel
kaum mehr als einen Spaltbreit öffnen konnte – und das auch nur für ein paar Sekunden –, hätte ich gerne gewusst, in was für einem Raum ich mich befand. Der kurze Blick, während Arons Lähmungs-Tee-Verabreichung, hatte nicht gereicht, um zu erkennen, ob eine blassrosa Blümchentapete oder rötliche Steine die Wändezierten. Dem modrig feuchten Geruch nach waren es eher Steine – also doch ein Kerker. Ein Gefängnis auf alle Fälle. Vielleicht konnte ich bei Tageslicht mehr sehen – falls es hier überhaupt ein Fenster gab. Dem Mief nach zu urteilen wohl eher nicht. Was mich wieder auf den Kerker zurückbrachte.
War es Aron, der mich gefesselt und k. o. geschlagen hatte? Zutrauen würde ich es ihm. Hatte ich wirklich so schlimm gewütet, dass ich hier eingesperrt werden musste? War meine Kammer unter dem Dach nicht mehr bewohnbar oder nicht mehr sicher genug? Meine Kehle schnürte sich zusammen – ich bekam kaum noch Luft. Dank Arons Gebräu spürte ich nicht, ob sie brannte.
Aron versuchte vier weitere Male mich zu überreden, ihm in die Augen zu schauen. Meine Weigerung bestrafte er mit seinem Lähmungstee. Ich war drauf und dran gewesen, in ihm einen Freund zu sehen, doch jetzt gehörte er definitiv in die Kategorie meiner meistgehassten Feinde.
Schon während er sich mit dem nach vergorenem Grün und Fäulnis riechendem Tee näherte, verkrampfte sich mein Inneres – zumindest der Teil, den ich fühlen konnte, wenn die Wirkung des Tees nachließ. Sobald ich seine samtweiche Stimme hörte, wurde mir übel. Und wenn er mir den Tee aufzwang, dachte ich nur an den Dolch, den ich nicht tief genug in ihn getrieben hatte.
Nach gefühlten vierundzwanzig Stunden gab er auf. Allerdings veränderte das Gespräch, das ich belauschte, auch mein Bild von Aron. Aber vielleicht war das auch nur einer von seinen miesen Tricks.
»Coelestin, sag mir, wie ich ihr helfen soll, wenn sie mich nicht lässt?« Arons Stimme hatte den sanften Ton verloren, den er bei mir anschlug.
»Weiß sie denn, dass du ihr helfen willst?«
»Du auch noch?! Der Rat wird meine Methoden nicht mehrallzu lange akzeptieren, wenn sie sich nicht in den Griff bekommt. Hätte ich gewusst, was aus ihr wird, dann hätte ich sie niemals über die Kante gejagt.« Eine Hand versetzte ein Stück Holz in Schwingung: Aron malträtierte vermutlich eine Tür.
»Und Christopher hätte sie niemals berührt.«
Trotz aller Taubheit fühlte mein gebrochenes Herz den Schmerz. Es tat weh, das zu hören, und ich war froh, dass ich nicht laut schluchzen konnte. Vielleicht hätte ich dann niemals wieder damit aufgehört. Was auch immer aus mir wurde, ich würde denselben Fehler noch einmal machen. Selbst jetzt, da ich wusste, wohin die Liebe zu einem Racheengel führte.
»Wie geht es ihm?« Arons Frage lenkte meine Aufmerksamkeit auf das Gespräch zurück.
»Besser als ihr. Aber es hätte auch an ein Wunder gegrenzt, wenn dein Plan aufgegangen wäre.«
»Ja. Vielleicht«, gab Aron frustriert zu. »Dann kann ich also nichts anderes tun, als abzuwarten?«
»Bleib bei ihr. Sie wird dich brauchen.«
»Mich?« Aron lachte bitter. »Jeder andere wäre besser für sie.«
»Keiner ist so gut dafür geeignet wie du, Aron.«
»Warum? Weil ich ein Seelenengel bin?«
»Nein. Nicht nur deshalb. Auch weil du ihre Stärken und Schwächen kennst. Du hast sie als Schutzengel begleitet.«
»Und gänzlich versagt«, wandte Aron ein.
»Das sehe ich anders.«
»Sie aber nicht.«
»Dann wird es tatsächlich schwer werden.«
Da Aron mir nicht mehr den Tee einflößte, verschwanden meine Lähmungserscheinungen. Aufstehen und mein neues Domizil begutachten konnte ich trotzdem nicht ohne weiteres.
Als das Kribbeln in meinen Händen einsetzte, glaubte ich,stumpfe Akupunkturnadeln würden durch meine Haut getrieben. Bei den Beinen wurde es noch schlimmer. Ich presste meine Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Diese Freude wollte ich meinem sadistischen Pseudo-Schutzengel nicht gönnen.
Sobald der Schmerz nachließ und nur noch ein dumpfes Pulsieren meine Waden verkrampfte, wagte ich, mich aufzusetzen. Ein wenig mehr Geduld hätte nicht geschadet. Als das Blut in meine Beine sackte, tat das höllisch weh. Gleichzeitig begannen in meinem Kopf bunte Sterne zu tanzen.
Ich schloss die Augen, legte mich zurück auf die Matratze, bis es besser wurde, und wiederholte das Ganze in Zeitlupentempo. Mein Kopf reagierte mit dröhnendem Klopfen, gewöhnte sich aber nach ein paar
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