Tanz der Engel
Minuten an die senkrechte Position. Dafür machte mir mein Magen einen Strich durch die Rechnung. Arons Gebräu hatte auch das Feuer in meinem Bauch gelöscht, das jetzt erneut aufflammte – samt den bunten Sternchen.
Gab es an mir noch irgendetwas, das nicht weh tat?
Ich biss erneut die Zähne zusammen und wartete, bis die dunklen Schatten im roten Dämmerlicht der flackernden Kerze wieder Konturen annahmen. Das Licht stand auf einem großen Felsblock, der als Tisch diente, daneben befanden sich ein Krug – bestimmt gefüllt mit Arons Wundertrank –, ein Becher und ein abgedecktes Tablett. Auf der gegenüberliegenden Seite entdeckte ich eine dunkle Nische und einen eingebauten Schrank ohne Inhalt und Türen. Ob eine blassrosa Blümchentapete oder rötliche Steine die Wand zierten, konnte ich immer noch nicht erkennen. Sobald ich versuchte, das Muster zu fixieren, kehrten die bunten Sternlein zurück.
Frustriert gab ich auf, legte mich hin und schloss die Augen. Irgendwann würde auch für mich wieder die Sonne scheinen.
Das Klicken einer Tür vertrieb die Bilder von Sonnentagen am Meer. Eine dunkle Silhouette starrte mich vom anderen Endedes Raumes an. Aron. Wer sonst konnte mir den blauen Himmel stehlen?
Ich stöhnte leise, als ich mich aufsetzte, und etwas lauter, als meine nackten Füße den Boden berührten. Weit kam ich nicht. Gerade mal einen Schritt, bevor ich aufschrie. Doch es war nicht nur der Schmerz, der mich am Weiterlaufen hinderte, sondern ein Knurren.
Hatte Aron geknurrt, oder hatte er einen Wachhund auf mich angesetzt? Oder etwas Gefährlicheres?
Die Bilder der im Feuer tanzenden Kreaturen drängten sich mir entgegen. Meine Beine drohten nachzugeben. Ich schaffte es gerade noch zu meinem Bett zurück, das eigentlich nur eine dicke Matratze war.
Als ich wieder aufschaute, stand Aron immer noch da. Sicherlich genoss er meine Angst. Meine Abneigung wuchs. Er würde nicht nahe genug an mich herankommen, um mich ein weiteres Mal in seinen Bann zu ziehen. Solange ich noch atmen konnte, würde ich lieber sterben, als ihn in meine Seele blicken zu lassen.
Aron bemerkte meine Abwehrhaltung. Er blieb auf Abstand und versuchte, mich zu beruhigen. »Entspann dich. Ich werde keinen Schritt näher kommen, als du willst.«
Ich schwieg. Er würde es trotzdem tun, auch wenn ich nein sagte.
Aron seufzte – offenbar kannte er meine Gedanken –, trat einen Schritt zur Seite und setzte sich auf einen Sessel, der aussah, als wäre es der aus meinem Zimmer – falls er meinen Wutausbruch überlebt hatte.
»Im Krug ist übrigens Orangensaft, und etwas zu essen findest du auf dem Tablett.«
Ich rührte mich nicht. Bei Kerzenlicht konnte ich nicht so genau sehen, was er Schönes für mich angerichtet hatte. Sein Lähmungstrunk war sicher mit dabei.
»Lynn, bitte. Du musst hungrig sein. Vertrau mir einfach.«
Ihm vertrauen?! Meine Wut war sofort wieder da.
Aron spürte sie und stand auf, öffnete die im Dunklen verborgene Tür und ging.
Kapitel 10
Gefährliche Träume
V or Erleichterung atmete ich tief durch. Aron war weg! So schnell würde er bestimmt nicht wiederkommen. Also hatte ich Zeit, Pläne zu schmieden, wie ich hier am besten rauskam.
Auch bei meinem zweiten Anlauf taten meine Beine höllisch weh. Jeder Schritt schmerzte, als wären alle Sehnen gerissen und falsch wieder zusammengewachsen. Selbst mein Rücken weigerte sich, die Last meines Körpers zu tragen. Zusammengekrümmt wie der Glöckner von Notre-Dame begab ich mich auf Erkundungstour und schlurfte durch mein düsteres Gefängnis.
Zuerst ging ich zu dem Felsentisch hinüber, um mir die Kerze zu holen. Ihr Licht tauchte alles in einen unwirklichen, rötlichen Schimmer, als würde ich durch eine rote Brille hindurchsehen. Selbst die Flüssigkeit in dem Krug besaß einen orangeroten Farbton. Trotzdem rührte ich sie nicht an. Selbst wenn sie nach Orangensaft roch – Aron hatte sie gemixt. Auch das Tablett ließ ich unberührt. Lieber hungerte ich, als mich von Arons Kochkünsten verführen zu lassen. Er hatte schon einmal mit falschen Karten gespielt. Obwohl ich inzwischen wusste, dass er nicht derjenige war, der mich in die Arme der Totenwächterin getrieben hatte. Mein Misstrauen war mehr als gerechtfertigt nach allem, was er sich als mein Schutzengel geleistet hatte.
Im Kerzenschein bestätigte sich meine Befürchtung, in einem alten Kerker festzusitzen. Die Wände bestanden aus grobbehauenen Steinen, an denen vereinzelt Reste von
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