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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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näher. Nehmen Sie den Sessel da. Bitte. Sie müssen mir zuhören.«
    Michael gehorchte und setzte sich in den Ledersessel; er wu ß te, daß er real war, auch wenn er jetzt ganz verloren zwischen so vielen staubigen, fremden Gegenständen stand. Er berüh r te auch das Bett. Massiv. Er hörte sogar das Knarren der Sprungfedern! Er berührte die seidene Steppdecke. Real. Er war benommen und staunte.
    Auf dem Kaminsims stand ein Paar silberner Kerzenleuchter. Die Gestalt hatte sich umgedreht; man hörte das jähe, scharfe Kratzen eines Streichholzes, und dann brannten die Dochte. Juliens Schultern waren schmal, aber sehr gerade; er wirkte alterslos, groß und anmutig.
    Als er Michael wieder anschaute, verbreitete sich hinter ihm warmes, gelbes Licht. Vollkommen leibhaftig stand er da; die blauen Augen blickten lebhaft und offen, und sein G e sichtsausdruck war beinahe hingerissen.
    »Ja, mein Junge«, sagte er, »schauen Sie mich an! Und hören Sie mir zu. Sie müssen jetzt handeln. Aber ich will sagen, was ich zu sagen habe. Ah, hören Sie es? Meine Stimme wird stärker.«
    Es war eine schöne Stimme, und nicht eine Silbe entging M i chael, der schöne Stimmen sein Leben lang geliebt hatte.
    »Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich habe«, sagte der Geist. »Ich weiß nicht, wo ich gewesen bin, als ich auf diesen Moment gewartet habe. Ich bin ein erdgebundener Toter.«
    »Ich bin hier und höre Ihnen zu. Gehen Sie nicht weg. Was immer Sie tun, gehen Sie nicht weg!«
    »Wenn Sie nur wüßten, wie schwer es gewesen ist, durchzudringen, wie sehr ich mich bemüht habe, und wie Ihre Seele mich ausgesperrt hat!«
    »Ich habe Angst vor Geistern«, sagte Michael. »Das ist ein irdischer Charakterzug. Aber das wissen Sie ja jetzt.«
    Julien lächelte und lehnte sich an das Kaminsims; er verschränkte die Arme, und die kleinen Kerzenflammen tanzten, als wäre er wirklich aus festem Fleisch und Blut und habe die Luft in Bewegung gebracht. Und handfest genug sah er ja aus in seinem schwarzen Wollrock und dem seidenen Hemd. Er trug eine lange Hose und altmodische Knöpfstiefel, zu make l losem Glanz poliert. Als er lächelte, schien sein von feinen Falten durchzogenes Gesicht mit den blauen Augen, umrahmt von weißen Locken, noch lebendiger zu werden.
    »Ich werde Ihnen meine Geschichte erzählen«, sagte er, wie es ein freundlicher Lehrer sagen würde. »Verurteilen Sie mich nicht. Nehmen Sie, was ich zu geben habe.«
    Eine unerklärliche Mischung aus Vertrauen und Erregung durchflutete Michael. Das Ding, das er die ganze Zeit gefürc h tet und das ihn verfolgt hatte, war jetzt hier, und es war sein Freund, und er war mit ihm zusammen. Aber eigentlich war Julien nie etwas gewesen, was man hätte fürchten müssen.
    »Sie sind ein Engel, Michael«, sagte Julien. »Sie sind derjenige, der noch eine Chance hat.«
    »Dann ist die Schlacht noch nicht vorüber.«
    »Nein, mon fils, ganz und gar nicht.«
    Er sah plötzlich betrübt aus, wehmutsvoll und traurig, und s u chend – eine Sekunde lang hatte Michael entsetzliche Angst, daß die Vision vergehen könnte. Aber sie wurde nur noch stärker, bekam sattere Farben. Julien deutete in die hintere Ecke und lächelte.
    Da stand der kleine Holzkasten, das Grammophon, auf einem Tisch am Fußende des Messingbettes!
    »Was ist real in diesem Zimmer?« fragte Michael leise. »Und was ist Phantom?«
    »Mon dieu, wenn ich das nur wüßte. Ich hab’s nie gewußt.« Juliens Lächeln wurde breiter, und wieder lehnte er sich an das Kaminsims, und in seinem Blick fing sich das Licht der Kerzen, als er beinahe träumerisch von links nach rechts über die Wand schaute. »Oh, könnte ich eine Zigarette und ein Glas Rotwein genießen!« flüsterte er. »Michael, wenn Sie mich nicht mehr sehen können, wenn wir getrennt werden… Michael, spielen Sie den Walzer für mich. Ich habe ihn für Sie gespielt.« Sein Blick wanderte beschwörend unter der Decke entlang »Spielen Sie ihn jeden Tag, für den Fall, daß ich noch hier bin.«
    »Das werde ich tun, Julien.«
    »Jetzt hören Sie gut zu…«

 
10

    New Orleans war einfach fabelhaft, fand Lark; von ihm aus brauchte er nie wieder abzureisen. Das Pontchartrain Hotel war klein, aber überaus komfortabel. Er hatte eine geräumige Suite über der Avenue mit freundlichen, traditionellen Möbeln, und das Essen aus der Küche des »Caribbean Room« war das beste, das er je bekommen hatte. Er hatte heute bis Mi t tag geschlafen und dann ein sagenhaftes

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