Tanz der Hexen
genug Ärger in diesem Haus, dachte er; da muß noch so ein Dreckskerl versuchen, durchs Bibliotheksfenster einzuste i gen!
Es sei denn…
Er schaltete die Lampe in der Ecke ein und betrachtete das kleine Grammophon. Es war verstaubt. Niemand hatte es a n gerührt. Er wußte nicht, ob er es anfassen konnte oder nicht; er kniete nieder und legte die Finger auf den weichen Filzpla t tenteller. Die La-Traviata- Platten steckten in ihrem dicken a l ten, verschossenen Album. Neben dem Apparat lag die Kurbel. Das alles sah unglaublich alt aus. Wer hatte wohl zweimal hier im Haus den Walzer gespielt, als das Gramm o phon selbst bewegungslos und verstaubt in seinem Versteck gelegen hatte?
Ein Geräusch ging durchs Haus, ein Knarren, als ob jemand umherging. Vielleicht war es Eugenia. Vielleicht auch nicht.
»Verdammt«, sagte er. »Der Scheißkerl ist hier?«
Er machte sich sofort auf die Suche. Er durchforschte das ganze Erdgeschoß, Zimmer für Zimmer, lauschte, spähte umher, beobachtete die kleinen Leuchtpunkte an den Schaltk ä sten der Alarmanlagen, die ihm verrieten, ob sich irgendwo in anderen Zimmern etwas bewegte. Dann ging er die Treppe hinauf und nahm sich auch den zweiten Stock vor; er schaute in Wandschränke und Badezimmer, die er die ganze Zeit nie von innen gesehen hatte, und sogar ins vordere Schlafzimmer, wo das Bett gemacht war und eine Vase mit gelben Rosen auf dem Kaminsims stand.
Alles schien in Ordnung zu sein. Eugenia war nicht hier. Aber von der Dienstbotenveranda aus konnte er weit hinten das Gästehaus sehen, das in voller Festbeleuchtung prangte. Das war Eugenia. Sie schaltete immer alle Lichter ein.
Die dunklen Bäume bewegten sich leise im Wind. Er konnte den stillen Rasen sehen, den Swimmingpool, die Fahnen. Nichts regte sich außer den Bäumen, die die Lichter vom fe r nen Gästehaus trügerisch funkeln ließen.
Weiter in den zweiten Stock. Er mußte jeden Winkel, jeden Spalt durchsuchen.
Das Stockwerk lag ganz still im Dunkeln. Der kleine Absatz oben an der Treppe war leer. Die Straßenlaterne schien durchs Fenster. Die Tür der Abstellkammer stand offen; die leeren Regale waren weiß und sauber und warteten auf etwas. Er drehte sich um und öffnete die Tür zu Juliens altem Zi m mer, seinem Arbeitszimmer.
Das erste, was er sah, waren die beiden Fenster gegenüber – das Fenster zur Rechten, in dem Julien in seinem schmalen Bett gestorben war, und das Fenster zur Linken, durch das Antha sich geflüchtet hatte, nur um über die Kante des Vera n dadaches in den Tod zu fallen. Wie zwei Augen sahen sie aus, diese beiden Fenster.
Die Rolläden waren hochgezogen; das sanfte Licht des frühen Abends schien auf die blanken Dielen und seinen Zeiche n tisch.
Aber da waren keine blanken Dielen, sondern ein fadenscheiniger Teppich, und wo sein Zeichentisch hätte stehen müssen, stand das schmale Messingbett, das schon vor langer Zeit hinausgeschafft worden war.
Er tastete nach dem Lichtschalter.
»Bitte schalten Sie es nicht ein.« Die Stimme klang brüchig und leise, französisch.
»Wer, zum Teufel, sind Sie?«
»Julien«, war die geflüsterte Antwort. »Um des lieben Himmels willen, ich bin nicht der Mann, der zum Bibliotheksfenster h e reingekommen ist! Kommen Sie herein, solange noch Zeit ist, und lassen Sie mit sich reden.«
Michael schloß die Tür hinter sich. Sein Gesicht glühte vor Hitze. Aber er wußte, daß es Juliens Stimme war, denn er ha t te sie schon einmal gehört, hoch, hoch über dem Meer, in e i nem anderen Reich, genau dieselbe Stimme, die leise und schnell zu ihm gesprochen hatte, ihm sozusagen den Fall vo r getragen und ihm erklärt hatte, daß er auch ablehnen könne.
Es war, als wolle der Schleier sich heben; dann würde er den glänzenden Pazifik sehen, und seinen eigenen ertrunkenen Körper auf den wogenden Wellen, und er würde sich an alles erinnern. Aber nichts dergleichen geschah. Was geschah, war unendlich viel erschreckender und erregender! Er sah eine dunkle Gestalt mit langen, dürren Beinen am Kamin stehen, einen Arm auf das Sims gelegt. Er sah das weiche Haar, weiß im Lichtschein des Fensters.
»Eh bien, Michael. Ich bin so müde. Es ist sehr schwer für mich.«
»Julien! Haben die anderen Ihr Buch verbrannt? Ihre Lebensgeschichte?«
»Oui, mon fils. Meine geliebte Mary Beth hat alle meine B ü cher verbrannt, jede Seite. Alle meine Schriften…« Seine Stimme klang sanft, und seine Brauen hoben sich ein wenig. »Kommen Sie, kommen Sie
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