Tanz der Hexen
war eine große, altmod i sche elisabethanische Handschrift – bei Gott, wie von einem pergamentenen Dokument!
Zahlbar an: Oscar Aldrich Tarnen.
Warum hatte er sich diesen Namen ausgesucht? Als Michael die Rückseiten der Schecks betrachtete, wurde es ihm klar. Der falsche Paß. Der Bankangestellte hatte sämtliche Inform a tionen notiert.
Ohne Zweifel folgten sie dieser Spur. Dann sah er die Aktennotiz der Kanzlei. Oscar Aldrich Tarnen war zuletzt am dreizehnten Februar in New York gesehen worden. Seine Frau hatte am sechzehnten Februar Vermißtenanzeige erstattet. Aufenthalt unbekannt. Schlußfolgerung? Gestohlener Paß.
Er klappte den Ordner zu. Er legte die Hände auf den Tisch, stützte sich darauf und bemühte sich, die feinen Stiche im Herzen nicht zu bemerken oder sich zumindest einzureden, daß es ein sehr sehr kleiner Schmerz war, kaum mehr als ein zartes Bohren, und das hatte er schon früher gehabt, jahr e lang, nicht wahr?
»Rowan«, sagte er laut, als wäre es ein Gebet. Seine Gedanken kehrten zum Weihnachtstag zurück, zu dem letzten Bild, das er von ihr im Gedächtnis hatte – wie sie ihm die Kette vom Hals riß und wie das Medaillon herunterfiel.
Warum hast du mich verlassen? Wie konntest du das tun?
Und dann überkam ihn schreckliche Scham, Scham und Angst. In seinem selbstsüchtigen kleinen Herzen war er froh gewesen, als sie ihm gesagt hatten, daß dieses Dämonenw e sen sie gezwungen habe, froh auch, weil die Ermittler dachten, sie stehe unter Zwang. Er war froh gewesen, daß man dies vor dem stolzen Ryan Mayfair erklärt hatte. Ah, denn das b e deutete, daß seine kluge Braut ihn nicht mit dem Teufel betr o gen hatte! Sie liebte ihn!
Und was um Himmels willen bedeutete das für sie? Für ihre Sicherheit, ihr Schicksal, ihre Zukunft? Gütiger Gott, du selbstsüchtiger, verachtenswerter Kerl, dachte er. Aber der Schmerz war so groß gewesen – der Schmerz über ihr Fortgehen, der Schmerz des eiskalten Wassers im Swimmingpool, und dann die Mayfair-Hexen in seinem Traum, und das Krankenzimmer, und der Schmerz in seinem Herzen, als er das erste Mal die Treppe hinaufgegangen war…
Er verschränkte die Arme vor sich auf dem Tisch und ließ leise weinend den Kopf darauf sinken.
Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Aber er wußte trotzdem alles. Daß die Bibliothekstür sich nicht geöffnet hatte und Mona folglich noch schlafen mußte, und daß seine Dienstboten wußten, was er getan hatte, weil sie sich sonst in seiner Nähe aufgehalten hätten. Daß die Dämmerung gekommen war. Daß das Haus auf etwas wartete und etwas mitansah.
Schließlich lehnte er sich zurück und sah, daß das Licht draußen weiß leuchtete, wie es das an Frühlingsabenden tat, so daß jedes einzelne Blatt deutlich zu erkennen war. Das gold e ne Licht der Stehlampe verlieh dem weiten Zimmer mit den alten Gemälden ein wenig Fröhlichkeit.
Ein winziges Stimmchen drang an seine Ohren; es sang, fern und dünn. Er saß sehr still, und nach und nach erkannte er, daß es Violettas Lied war. Das Grammophon spielte. Das b e deutete, daß seine Nymphe aufgewacht war; sie war aufg e standen und hatte das alte Spielzeug aufgezogen. Er mußte sich zusammennehmen. Er mußte sich mit ihr über diese To d sünde, die sie begangen hatten, unterhalten.
Er stand auf, ging langsam durch das halbdunkle Zimmer und zur Bibliothek. Die Musik drang kraftvoll durch die Tür, das fröhliche Lied der Violetta aus La Traviata. Der Walzer, den sie gespielt hatten, als Violetta noch stark und munter war und bevor sie dann so wundersam und opernhaft zu sterben b e gann. Ein Lichtschein drang unter der Tür hervor, golden und sanft.
Sie saß halb aufgerichtet auf dem Boden, die Hände hinter sich aufgestützt, die Brüste nackt, hoch angesetzt. Die Brus t warzen rosig wie die eines Babys.
Aber da war keine Musik. War es eine akustische Täuschung gewesen? Sie schaute durch das Fenster auf die gußeisenu m faßte Veranda hinaus. Michael sah, daß das Fenster offe n stand. Ein lautes Geräusch schallte von der Straße herein; aber es war nur ein vorüberfahrendes Auto, das zu schnell über die schattige Kreuzung raste.
Sie war erschrocken; ihr Haar war zerwühlt, ihr Gesicht noch glatt von den Resten des Schlafes.
»Was soll das?« fragte er. »Ist da jemand durch das Fenster hereingekommen?«
»Er hat’s versucht«, sagte sie, und ihre Stimme klang benommen vom Schlaf. »Riechst du das?« Sie drehte sich um und sah ihn an, und ehe
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