Tanz der Hexen
hysterisch. Sogar Alliterationen brachten ihn zum Lachen.
Nachts wachte er auf und redete von der Kathedrale. Von e t was, das dort geschehen war. Er war schweißgebadet. Sie müßten nach Schottland, sagte er.
»Dieser Julien, dieser raffinierte Teufel«, sagte er. »Er wollte all das herausfinden. Er sprach in Rätseln zu mir, aber ich verweigerte mich.« Er ließ sich zurücksinken und sagte leise: »Ich bin Lasher. Ich bin das Wort, das Fleisch geworden ist. Ich bin das Geheimnis. Ich bin in die Welt gekommen, und jetzt muß ich das Fleisch in all seinen Konsequenzen erleiden, und ich weiß noch gar nicht, wie das sein wird. Was bin ich?«
Mittlerweile sah er auffällig, aber nicht monströs aus. Sein Haar fiel ihm lose bis auf die Schultern. Er trug einen schwa r zen Hut, den er tief in die Stirn zog, und noch die schmälsten schwarzen Jacken und Hosen saßen weit und locker, als sei er aus Besenstielen zusammengesetzt. Überall schienen die Leute auf ihn zu reagieren, auf seine Heiterkeit, seine u n schuldigen Fragen, seine spontanen und oft überschwengl i chen Begrüßungen. Er begann Gespräche mit Leuten in G e schäften; er stellte Fragen zu allem.
Wenn sie versuchte, mitten in der Nacht zu telefonieren, wac h te er auf und riß ihr den Hörer aus der Hand. Wenn sie au f stand und aus dem Zimmer gehen wollte, stand er plötzlich neben ihr. Dann hatten die Hotelsuiten, die sie bezogen, nur noch Badezimmer ohne Fenster; andernfalls fand er sie ina k zeptabel. Er riß die Telefone in den Badezimmern aus der Wand. Er ließ sie überhaupt nicht mehr aus den Augen, außer wenn es ihr gelang, die Badezimmertür hinter sich abzuschli e ßen, ehe er sie erreichen konnte.
Schließlich versuchte sie mit ihm zu diskutieren. »Ich muß anrufen und herausfinden, was aus Michael geworden ist.« Da schlug er sie. Der Schlag kam wie aus heiterem Himmel. Sie flog rückwärts auf das Bett, und die eine Gesichtshälfte war blutunterlaufen. Er weinte. Er legte sich zu ihr, saugte an ihr, drang dann in sie ein, tat beides zugleich, und die Lust durc h flutete sie. Er küßte den Bluterguß auf ihrer Wange, und sie fühlte, wie ein Orgasmus in ihr aufstieg, obwohl sein Glied nicht mehr in ihr war. Gelähmt vor Wonne lag sie da, krümmte die Finger und drehte die Füße zur Seite wie eine Tote.
Nachts sprach er vom Totsein, vom Verlorensein.
»Erzähl mir von deiner frühesten Erinnerung.«
Daß es da keine Zeit gegeben habe, sagte er.
»Und was hast du für Suzanne empfunden? War es Liebe?«
Er zögerte und sagte dann, er habe gedacht, es sei machtvoll brennender Haß.
»Haß? Warum denn das?«
Er wußte es ehrlich nicht. Er schaute aus dem Fenster und sagte, im allgemeinen habe er keine Geduld mit den Me n schen. Sie seien ungeschickt und dumm und könnten mit ihren Hirnen keine Daten verarbeiten, wie er es könne. Er habe für Menschen den Trottel gespielt. Aber das werde er nicht wieder tun.
»Wie war das Wetter an dem Morgen, als Suzanne starb?« fragte sie.
»Regnerisch, kalt. Es regnete so heftig, daß sie eine Zeitlang dachten, sie müßten die Verbrennung verschieben. Gegen Mittag hörte es dann auf. Der Himmel war klar. Das Dorf war bereit.« Er machte ein ratloses Gesicht.
»Wer war damals König von England?«
Er schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung. Was die Do p pelhelix sei, wollte sie wissen. In flinken Worten beschrieb er die beiden Chromosomenstränge der Doppelhelix, die die DNS enthielten, unsere Gene, sagte er. Sie merkte, daß er haargenau die Worte benutzte, die sie als Kind für eine Pr ü fung aus einem Schulbuch auswendig gelernt hatte. Er sprach sie in einer Kadenz, als sei es die Kadenz, die die Worte in seinen Verstand eingeprägt hatte, was immer sein Verstand sein mochte…
»Wer hat die Welt erschaffen?« fragte sie.
»Ich habe keine Ahnung! Und du? Weißt du, wer sie gemacht hat?«
»Gibt es einen Gott?«
»Wahrscheinlich nicht. Frag die ändern Leute. Das Geheimnis ist zu groß. Wenn ein Geheimnis so groß ist, steckt nichts d a hinter. Es gibt keinen Gott. Nein, absolut nicht.«
Eines Nachts stand sie, ohne darüber nachzudenken, auf und wollte ins Foyer hinuntergehen, um sich eine Schachtel Zig a retten zu holen. Er erwischte sie oben an der Treppe.
»Schlag mich nicht«, sagte sie. Sie empfand Wut, eine Wut, so tief und furchtbar, wie sie sie nur selten erlebt hatte.
»Das klappt nicht bei mir, Mutter!«
Ihre Nerven waren verschlissen; sie verlor alle
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