Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
meines Daseins gesehen hatte. Nicht lange, und ich weinte hilflos.
    Sie drückte mich an sich und bat mich um Verzeihung, weil sie mir einen solchen Anblick geboten habe. Wir legten uns zusammen hin, und schließlich hatte sie sich in den Schlaf geweint, und die Nacht senkte sich auf die Pflanzung herab, wodurch in jenen Tagen, da Öllampen und Kerzen rar und teuer waren, alles frühzeitig zum Stehen kam, bis schließlich überall Stille herrschte.
    Es muß nach Mitternacht gewesen sein, als ich erwachte. Und da sah ich das Wesen vor mir. Es saß auf der Bettkante und streckte eine weiße Hand nach mir aus. Ich schrie nicht. Dazu war keine Zeit. Denn unversehens fühlte ich seine streichelnden Finger auf meiner Wange, und es war ein gutes Gefühl. Dann war es, als liebkose mich die ganze Luft, die mich umgab, als habe das Wesen sich aufgelöst und küsse mich nun mit unsichtbaren Lippen, berühre mich und erfülle meinen Körper mit aller Wollust, die er in so zartem Alter empfinden konnte - was, wie Sie sich wahrscheinlich erinnern werden, gar nicht wenig war!
    Als er mit mir fertig war und ich dalag – und eine kleine Pfütze Babysaft neben meiner schlafenden Mutter -, da sah ich, wie er wiederum Gestalt annahm, dieser Geist, und am Fenster stand. Ich stieg aus dem Bett, matt und benommen von der Lust, die ich empfunden hatte, und ging auf ihn zu. Ich wollte nach seiner Hand greifen, die an seiner Seite baumelte wie die Hand eines Mannes. Er schaute auf mich herab und musterte mich mit tränenverschleiertem Gesicht, und dann streiften wir zusammen die Gardine beiseite und traten hinaus auf die Galerie.
    Mir schien, daß er im Licht erzitterte und drei- oder viermal verschwand, nur um gleich wieder zu erscheinen, und dann verwehte er und hinterließ nur einen sehr warmen Lufthauch. Ich stand in dieser Wärme und hörte zum ersten Mal seine Stimme in meinem Kopf, seine vertrauliche, vertrauensvolle Stimme.
    »Ich habe mein Gelübde gegen Deborah gebrochen.«
    »Was war es denn?« fragte ich.
    »Du weißt ja nicht mal, wer Deborah war, du jämmerliches Kind aus Fleisch und Blut«, sagte er und überschüttete mich mit einer Tirade von hysterischer Heiterkeit, die mir aus den übelsten Knittelversen unserer Bibliothek zusammengesetzt schien. Wohlgemerkt, ich war damals knapp vier Jahre alt und konnte nicht behaupten, von Dichtung mehr zu kennen als ein Liedchen, aber ich merkte es doch, wenn Worte regelrecht lächerlich waren. Auch das hatte mich das gewiefte Lachen der Sklaven gelehrt. Ich wußte, was Aufgeblasenheit war.
    »Ich weiß, wer Deborah war«, sagte ich und erzählte ihm die Geschichte von Deborah, wie Marie Claudette sie mir erzählt hatte – wie hoch sie aufgestiegen war, bis man sie dann der Hexerei bezichtigt hatte.
    »Verraten von Ehemann und Söhnen, das war sie, und vorher schon von ihrem Vater. Aye, von ihrem Vater. Und ich habe Rache geübt an ihm«, sagte er. »Ich habe Rache geübt an ihm für das, was er und seinesgleichen ihr angetan hatten, ihr und mir!«
    Die Stimme verstummte. Ich hatte das deutliche Gefühl in meinem Kinderkopf, daß er im Begriff gewesen war, noch so ein langes und ebenso miserables Gedicht vom Stapel zu lassen, und es sich nur im letzten Moment anders überlegt hatte.
    »Du verstehst, was ich sage?« fragte er. »Ich habe Deborah geschworen, ich würde niemals einem männlichen Kind zulächeln oder ein männliches einem weiblichen vorziehen.«
    »Ja, ich weiß, was du sagst«, antwortete ich. »Und meine Großmama hat es mir auch erzählt. Deborah war im Hochland geboren, eine Frohgezeugte, ein Bankert der Maifeiern, und ihr Vater war höchstwahrscheinlich der Lord des Landes, der keinen Finger rührte, als ihre Mutter Suzanne auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, eine arme verfolgte Hexe, die fast nichts wußte.«
    »Aye«, sagte er. »So war es. So war es! Meine arme Suzanne, die mich aus der Tiefe heraufrief wie ein Kind, das eine Schlange aus dem Weiher zieht, ohne zu wissen, was es tut. Sie reihte Silben in die Luft, sie rief meinen Namen, und ich hörte sie.
    Und es war in der Tat der Lord des Landes, der Häuptling des Clans von Donnelaith, der ihr das Kind machte und dann zitterte vor Angst, als man sie verbrannte. Donnelaith! Siehst du das Wort? Kannst du es in Lettern fassen? Geh hin und sieh dir die Ruinen der Burg an, die ich in Schutt und Asche legte. Sieh die Gräber der letzten jenes Clans, die ich von der Erde fegte bis zu dem Tag, da…«
    »Bis zu

Weitere Kostenlose Bücher