Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
behilflich war, denn der unschuldige Leib, der zu solchen Zwecken mißbraucht wurde, konnte hernach leicht seiner Zerstörungswut zum Opfer fallen.
    So war es einem von Marie Claudettes Neffen ergangen, erzählte sie mir – einem meiner Cousins -, bevor sie gelernt hatte, das Wesen im Zaum zu halten und es zum Gehorsam zu zwingen oder aber auszuhungern: mit ihrem Schweigen und indem sie die Augen bedeckte und so tat, als höre sie nichts. »Manchmal ist es gar nicht so schwer, ihn zu quälen«, sagte sie. »Er kann fühlen, er vergißt, er weint. Ich beneide ihn nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich laut.
    »Aber verachte ihn niemals. Er wird dich sonst hassen. Schau immer weg, wenn du ihn siehst.«
    Den Teufel werde ich tun, dachte ich, aber das sagte ich nicht laut.
    Weniger als einen Monat später starb sie.
    Ich war mit Octavius draußen in den Sümpfen. Wir waren weggelaufen, um in der Wildnis zu leben wie Robinson Crusoe. Unser kleines, flaches Boot hatten wir angebunden und ein Lager aufgeschlagen, und während er ein wenig Holz sammelte, versuchte ich, mit dem, was wir schon hatten, ein Feuer anzuzünden, doch es gelang mir nicht.
    Plötzlich aber flammte der Zunder in meiner Hand auf. Ich blickte hoch, und wen sah ich da? Marie Claudette, meine geliebte Großmutter, nur prächtiger und kraftvoller als jemals im Alter, mit vollen, rosigen Wangen und einem schönen, sanften Mund. Sie hob mich hoch, küßte mich und stellte mich wieder hin, und dann war sie verschwunden. Einfach so. Und das kleine Feuer loderte.
    Ich wußte, was das zu bedeuten hatte. Lebwohl. Sie war tot. Ich bestand darauf, sofort nach Riverbend zurückzufahren. Als wir uns dem Haus näherten, gerieten wir in ein wütendes Unwetter und mußten schließlich gegen einen wilden Wind, der Laub, Reisig und sogar spitze Steinchen mit sich wirbelte, durch das Wasser laufen, bis wir ans Tor gelangten und die Sklaven uns entgegenrannten, um uns schützende Decken umzulegen.
    Marie Claudette war tatsächlich gestorben. Schluchzend erzählte ich meiner Mutter, woher ich es wußte, und ich glaube, da sah sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben. Natürlich war ich ein Ding zum Schmusen gewesen, aber in diesem Augenblick sprach sie mit mir nicht wie mit einem Hund oder mit einem Kind, sondern wie mit einem Menschen.
    »Du hast sie gesehen, und sie hat dir ihren Kuß gegeben«, sagte sie.
    Und mitten im Krankenzimmer, wo alle Welt schluchzte und die Fensterläden im Wind hin und her schlugen und der Priester starr vor Entsetzen dastand, erschien der verdammte Dämon über der Schulter meiner Mutter, und unsere Blicke trafen sich. Ich konnte sehen, daß in seinen flehentlichen Augen die Tränen standen. Und natürlich verschwand er gleich wieder.
    So wird auch meine eigene Geschichte enden, meinen Sie nicht? Wenn Sie davon erzählen, werden Ihre letzten Worte lauten: »Und Julien verschwand.« Und wo werde ich dann sein? Wo werde ich hingehen? War ich im Himmel, bevor Sie mich herriefen, oder in der Hölle? Ich bin so müde, daß es mir inzwischen gleich ist, und das ist vielleicht ein Segen.
    Aber um zu jenem längst vergangenen, lärmerfüllten Augenblick zurückzukehren, als der Regen hereinwehte und meine Großmütter zierlich und klein unter Bergen von Spitze in ihrem Bett lag und meine Mutter, hager und dunkelhaarig, mich anstarrte und der Dämon hinter ihr die Gestalt eines hübschen Mannes annahm und die kleine Katherine in ihrer Wiege weinte – dieser Augenblick war der Beginn meines wahren Lebens als Gefolgsmann meiner Mutter.
    Nach der Totenfeier und dem Begräbnis wurde meine Mutter zunächst verrückt. Und ich war der einzige Zeuge.
    Als sie vom Friedhof nach Hause gekommen war, fing sie auf halber Treppe an zu schreien, und ich konnte noch eben hinter ihr in ihr Zimmer schlüpfen, bevor sie die Tür zur Galerie verriegelte. Dann bekam sie einen schmerzhaften Weinkrampf nach dem anderen. Das alles war noch Trauer um ihre Mutter, und sie beklagte, was sie nicht getan und nicht gesagt hatte. Aber die Trauer mündete in einen machtvollen, wilden Zorn.
    Wieso konnte dieser Geist den Tod nicht verhindern? »Lasher, Lasher, Lasher.« Sie raffte die Federkissen vom Bett, riß die Bezüge auf und verstreute die Federn überall. In ihrer Wut zerriß sie drei Kissen. Die Luft war voller Federn, und sie stand mitten in dem Gestöber und kreischte, und dabei sah sie jämmerlicher und einsamer aus als irgendein Lebewesen, das ich in der kurzen Spanne

Weitere Kostenlose Bücher