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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Bruder nicht.«
    »Sei da nicht so sicher«, widersprach ich. »Er bekommt es nur leichter mit der Angst zu tun. Er hat das Wesen gesehen, und es hat eine häßliche Fratze geschnitten, um ihn von Katherines Wiege fernzuhalten. Ich bedarf keiner häßlichen Fratze, und ich fliehe auch nicht davor. Und ich bin zu vernünftig, um Katherines Wiege umzustürzen. Aber sag mir, wie soll eine Hexe ihm für immer fleischliche Gestalt verleihen? Was hat er denn vor?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Wirklich, ich kenne das Geheimnis nicht. Aber ich will dir etwas erzählen, derweil die Musik spielt, und du mußt aufmerksam zuhören. Ich habe diesen Gedanken bisher nicht einmal mir selbst offenbart, aber jetzt vertraue ich ihn dir an. Wenn er hat, was er will, wird er die ganze Familie vernichten.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie mit großem Ernst. »Aber ich befürchte es. Denn ich denke und fühle in meinen Knochen, daß er uns zwar liebt und braucht – aber auch haßt.«
    Ich dachte still darüber nach.
    »Natürlich, vielleicht weiß er das nicht«, fuhr sie fort. »Oder er will nicht, daß ich es weiß. Je mehr ich darüber nachdenke, desto öfter frage ich mich, ob du nicht zu mir gesandt wurdest, damit du das, was ich zu sagen habe, dem Baby in der Wiege weitergibst. Gott weiß, daß Marguerite nicht mehr zuhört. Sie glaubt, sie beherrscht die Welt. Und ich in meinem Alter fürchte die Hölle und sehne mich nach der Gesellschaft eines dreijährigen Knaben mit Engelsgesicht.«
    »Fleisch – das Ding will Fleisch werden«, drängte ich. Ich entsinne mich, daß ich natürlich hingerissen war, als engelsgesichtiger Knabe bezeichnet zu werden; es gefiel mir sehr gut, und ich hätte es am liebsten gehabt, wenn sie sich weiter über meinen Charme verbreitet hätte. Aber ich kehrte zu jenem bösen Wesen zurück. »Wie kann er Fleisch werden? Menschliches Fleisch? Hm? Würde er da von neuem in die Welt geboren werden? Oder würde er einen toten Körper übernehmen oder einen, der…«
    »Nein«, sagte sie. »Er kennt seine Bestimmung. Er sagt, er trägt den Plan dessen, was er sein wird, in sich, und eines Tages werden eine Hexe und ein Mann das magische Ei zeugen, in das er wieder hineinfahren und aus dem seine Gestalt entstehen werde, und des Kindes Seele werde ihn nicht hinausstoßen können, und dann werde die ganze Welt ihn verstehen.«
    »Die ganze Welt, hmmm.« Ich dachte nach. »Du hast gesagt, wieder. Soll das heißen, das Ding war schon einmal Fleisch?«
    »Es war schon einmal etwas, was es jetzt nicht mehr ist, aber was es war, das kann ich dir nicht sagen. Ich glaube, es war eine gefallene Kreatur, dazu verdammt, Intelligenz und Einsamkeit in flüchtiger Gestalt zu erleiden! Und es möchte diese Strafe beenden. Durch uns will es zu einer starken Hexe finden, die ihm sein kann, was die Jungfrau Maria für Christus war, ein Gefäß der Inkarnation.«
    Ich dachte über all das nach. »Es ist kein Teufel«, sagte ich dann.
    »Und wie kommst du darauf?« fragte sie wieder, als hätten wir darüber nicht schon einmal gesprochen.
    »Weil der Teufel Wichtigeres zu tun hat, wenn es ihn überhaupt gibt«, sagte ich. »Und was die Frage seiner Existenz angeht, so bin ich da gar nicht so sicher.«
    »Woher hast du die Idee, daß es den Teufel nicht geben könnte?«
    »Von Rousseau«, sagte ich. »Seine Philosophie nimmt an, daß das schlimmste Übel im Menschen liege.«
    »Na«, sagte sie, »du solltest aber noch ein bißchen mehr lesen, bevor du dich entscheidest.«
    Und das war das Ende dieser Episode.
    Aber bevor sie starb – was nicht sehr lange danach geschah -, erzählte sie mir noch vieles über den Geist. Er tötete meistens durch Angst. In Gestalt eines Mannes erschreckte er nachts Kutscher und Reiter so, daß sie von der Straße in den Sumpf schwenkten, und zuweilen erschreckte er nicht nur die Menschen, sondern auch die Pferde, wodurch bewiesen war, daß er tatsächlich stofflich vorhanden war.
    Natürlich konnte er stehlen, kleine Gegenstände zumeist, aber mitunter auch stattliche Summen in Banknoten. Und er konnte für sehr kurze Zeit in einen Menschen hineinfahren, durch seine Augen sehen und mit seinen Händen fühlen, aber das war nie von langer Dauer. Tatsächlich war er nach solch einem Kampf oft erschöpft und gemartert, und oft kam es vor, daß er den Besessenen dann aus blanker Wut und Neid tötete. Das hieß, daß man sehr vorsichtig sein mußte, wenn man ihm bei solchen Tricks

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