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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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brillante Phantasie. Sie sah stets den größeren Plan der Dinge.
    Und sie erkannte schon früh, daß der Dämon ihn nicht sah.
    Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Anfang der achtziger Jahre kam ein Musiker namens Blind Henry nach New Orleans. Blind Henry war ein »idiot savant«: Es gab nichts, was er auf dem Klavier nicht spielen konnte – Mozart, Beethoven, Bach, aber ansonsten war Blind Henry, was die Bezeichnung vermuten läßt: ein Vollidiot.
    Als Mary Beth und ich in seinem Konzert saßen, schrieb sie mir etwas auf ihr Programm, unmittelbar vor der Nase des Dämons sozusagen, der aber völlig gebannt von der Musik war. Sie schrieb: »Blind Henry und Lasher – dieselbe Form von Intellekt.«
    Das stimmte genau. Die Frage ist zu rätselhaft, als daß wir ihr hier auf den Grund gehen könnten. Und heute, in der modernen Welt, wissen Sie mehr über idiots savants, autistische Kinder und dergleichen. Aber auf ihre einfache Art versuchte sie mir mitzuteilen: Lasher kann das, was er lernt und was er wahrnimmt, nicht in einen realen Kontext setzen. Wir, die Lebenden, haben einen Kontext für alles, was wir wissen und empfinden. Dieses tote Ding hat keinen.
    Und da sie dies schon in früher Jugend verstanden hatte, mythologisierte Mary Beth den Geist nicht. Als ich zu bedenken gab, daß er ein rachsüchtiger Geist sei, zuckte sie nur mit den Achseln.
    Aber – und hier liegt der Schlüssel – sie verachtete Lasher auch nicht, wie ich es tat.
    Im Gegenteil, sie brachte ihm Liebe entgegen, und er schmiedete ein enges, emotionales Band zwischen sich und ihr und bezog ein Mitgefühl von ihr, das ich für dieses Wesen nicht empfand.
    Und als ich sah, wie dies geschah, als ich sah, wie sie zu meinen ironischen Äußerungen und sorgfältig verhüllten Warnungen nickte, als ich sah, daß sie mich absolut verstand und doch ihn liebte, da verstand ich besser, weshalb er Frauen stets Männern vorgezogen hatte, denn er brachte bei ihnen eine Saite zum Klingen, die bei Männern eher stumm ist. Ich empfand jedenfalls immer Abscheu vor dem Ding. Und sie nicht.
    »Wenn du eines Tages nicht mehr da bist«, sagte sie, »dann wird es nur noch mich und dieses Ding geben. Es wird meine Liebe sein, mein Trost und mein Begleiter. Im Grunde kümmert es mich ja auch nicht, was ich bin und woher ich komme. Die Vorstellung, ich könnte in diesen Kategorien über mich nachdenken, ist eine Illusion.«
    Damals war sie fünfzehn – groß, schwarzhaarig, von sehr kräftiger Gestalt und sehr hübsch, auf eine dunkle, starke Weise, die manch einen Mann wohl nicht angesprochen hätte. Sie war von ruhiger Art, höchst überzeugend. Alle bewunderten sie, und wer keine Angst vor ihrem unerschütterlichen Blick und ihrer männlichen Haltung hatte, war gewöhnlich von ihr hingerissen.
    Ich war natürlich beeindruckt. Um so mehr, weil sie immer, wenn sie so etwas gesagt hatte, lächeln und einen Trick vorführen konnte, der mich unfehlbar in Entzücken versetzte: Sie nahm den dicken Zopf ihres schwarzen Haars und löste ihn auf, so daß das Haar wie ein Schleier in scharfen kleinen Wellen über ihre Schulter fiel, und dann schüttelte sie es aus und lachte, als verwandele sie sich mit dieser Geste unversehens von einer intellektuellen Gefährtin in eine aufsprossende Frau.
    Aber Sie dürfen nicht vergessen, ich war der einzige Mann, der je Macht über Lasher hatte. Und ich behaupte immer noch, daß ich die Unempfindlichkeit eines Mannes gegen die Schmeicheleien des Wesens besaß. Und wohlgemerkt, ich habe Ihnen offen von meinen Amouren mit Männern erzählt. Ich habe keine Vorurteile gegen diese Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt et cetera. Liebe ist für mich… eben Liebe. In meinem tiefsten Herzen verabscheute ich die Kreatur! Ich verabscheute die skrupellosen Fehler, die sie beging! Ich verabscheute ihren Humor.
    Alors. Mary Beth, die meinen Ehrgeiz in jeder Hinsicht teilte, war schon von früher Kindheit an mit unseren Geschäften vertraut. Als sie zwölf war, hatte sie mit mir zusammen Entscheidungen getroffen, die unser Vermögen derart diversifizierten und ausdehnten, daß aus dem Kapital der Mayfairs eine unaufhaltsame Geldmaschine geschaffen worden war.
    Wir waren in Boston und New York und London ebenso aktiv wie im Süden. Das Geld war an Orten, wo es nur noch mehr Geld machen konnte, und dieses Geld machte automatisch wieder neues Geld, und so weiter, und so fort, und so war es seit jenen Tagen eigentlich immer.
    Mary Beth war ein

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