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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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umwarb es mit sanfter Stimme. »Du hast diese Familie geschaffen. Du hast den Garten Eden erbaut, in dem sie lebt. Gib uns diese kurze Zeit. All das Gute, das auf uns gekommen ist, ist ja durch dich gekommen. Willst du uns da diese kleine Reise mißgönnen, du, der du uns immer unseren Willen gelassen hast, wenn wir nur glücklich waren?«
    Der Geist weinte. Ich hörte den eigentümlichen, lautlosen Laut. Es war ein Wunder, daß es die Silben nicht ausspuckte: Weinen!, wie es jene anderen Silben ausspuckte: Gelächter. Aber das tat es nicht. Es schlug einen beredteren, einen herzzerreißenden Weg ein.
    Mary Beth stand am Fenster. Wie viele italienische Mädchen war sie in unserer heimatlichen südländischen Hitze früh gereift; sie war eine üppige Blume in ihrem roten Kleid. Die Mode jener Zeit mit schmaler Taille und weitem Rock ließ ihre vollen Brüste und Hüften um so prachtvoller erscheinen. Ich sah, wie sie den Kopf neigte und die Lippen in ihre Hand legte, und dann blies sie diesen Kuß dem Wesen zu wie ein Opfer.
    Es umhüllte sie langsam, hob und liebkoste ihr Haar, verdrehte es und ließ es wieder fallen. Sie drehte den Kopf auf den Schultern hin und her. Sie gab sich ihm hin.
    Ich wandte mich ab. Ich wartete in stillem Brüten.
    Endlich kam es zu mir. »Ich liebe dich, Julien.«
    »Willst du Fleisch sein? Willst du fortfahren, uns mit Segnungen zu überschütten? Deine Kinder, deine Helfer, deine Hexen?«
    »Ja, Julien.«
    »Laß uns nach Donnelaith gehen«, sagte ich, meine Worte sorgfältig wählend. »Laß mich das Glen sehen, in dem meine Familie geboren ist. Laß mich einen Blumenkranz auf den Boden des Tales legen, wo unsere Suzanne bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Laß mich das tun.«
    Es war die allerschändlichste Lüge! Ich wollte dergleichen ebenso wenig tun, wie ich vorhatte, Dudelsack zu spielen oder einen Schottenrock zu tragen. Aber ich war entschlossen, Donnelaith zu sehen, es kennen zu lernen und zum Kern dieses Geheimnisses vorzudringen!
    »Also gut«, sagte Lasher. Er kaufte mir die Lüge ab, denn wer konnte ihn schließlich zu jener Zeit besser belügen als ich?
    »Nimm mich bei der Hand, wenn wir da sind«, sagte ich. »Erzähl mir, was ich wissen sollte.«
    »Das werde ich tun«, sagte er in resigniertem Ton. »Aber verlaßt dieses verfluchte Papistenland. Verlaßt diese Italiener mit ihrer morbiden Kirche. Geht fort von hier. Reist nach Norden, ja, und ich werde mit euch gehen, euer Diener, euer Liebhaber – Lasher.«
    »Also gut, Geist.« Und dann bemühte ich mich, es von ganzem Herzen ehrlich zu meinen, und fand wirklich ein wenig Sinn darin, als ich sagte: »Ich liebe dich, Geist, genauso wie du mich liebst.« Und dann schössen mir die Tränen in die Augen.
    »Eines Tages werden wir einander in der Dunkelheit kennen, Julien«, sagte er. »Wir werden einander als Geister kennen, wenn wir die Korridore in der First Street durchstreifen. Ich muß Fleisch sein. Die Hexen müssen blühen.«
    Ich fand diesen Gedanken so schrecklich, daß ich nichts dazu sagte. Aber seien Sie versichert, Michael, es war nicht so. Ich bin nicht in einem Reich, das ich mit einer anderen Seele teile.
    Ich hoffe, wenn ich diese Geschichte zu Ende gebracht habe, werde ich zu etwas Größerem fortschreiten. Selbst die Strafe würde doch ihre Form haben, ihren Zweck, irgendeine Art von Sinn. Ewige Flammen kann ich mir nicht vorstellen. Aber ewigen Sinn schon.
     
    Wir verließen Italien auf der Stelle, wie der Dämon uns geboten hatte. Wir reisten nach Norden und hielten nur in Paris noch einmal für zwei Tage an, bevor wir die Überfahrt unternahmen und nordwärts nach Edinburgh fuhren. Der Dämon wirkte ruhig. Wenn ich versuchte, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, sagte er nur: »Ich erinnere mich an Suzanne«, und in seiner Haltung war etwas absolut Hoffnungsloses.
    In Edinburgh nun geschah etwas Bemerkenswertes. Mary Beth bat den Dämon in meiner Gegenwart, sie zu begleiten und zu beschützen. Sie, die verkleidet mit mir ausgegangen war, wollte jetzt allein umherstreifen, beschützt nur von ihrem eigenen Geist. Letztendlich lockte sie Lasher weg; sie pfiff vor sich hin, wenn sie ausging, in Männerkleidern – Tweedjackett und Reithosen -, das Haar unter einer kleinen, formlosen Mütze zusammengedreht, ihr Schritt so ausgreifend und lässig, wie es der eines Knaben nur sein konnte.
    Und als ich allein war, begab ich mich auf der Stelle zur Universität von Edinburgh und setzte mich auf die

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