Tanz der Hexen
will.
Weihnachten war ein großes Fest in Italien, genau wie zuvor im Hochland des Alptraums, das ich so kurz zu Gesicht bekommen hatte. Für mich wurde es das feierlichste und wichtigste aller heiligen Feste, und wo immer ich mich in Italien aufhalten mochte, zu dieser Zeit kehrte ich nach Assisi zurück.
Schon vor meinem ersten Weihnachtsfest dort hatte ich die Geschichte des Christkindes und seiner Geburt in der Krippe gelesen und mir zahllose Gemälde davon angeschaut, und ich hatte mich mit Herz und Seele diesem kleinen Kinde in Mariens Armen geschenkt.
Ich schloß die Augen und stellte mir vor, ich sei ein kleines Kind, wie ich es nie gewesen war, ich sei hilflos und sehnsüchtig und unschuldig. Und das Gefühl, das mich überkam, war Verzückung. Ich beschloß, Christus – das reine Kind – in allen Männern und Frauen zu sehen, mit denen ich sprach. Wenn ich einen Augenblick des Zorns oder des Ärgers erlebte, was selten geschah, so dachte ich an das Christkind. Ich stellte mir vor, ich hielte es in den Armen. Ich glaubte mit Leib und Seele an diesen Christus und daran, daß ich eines Tages – wenn meine Bestimmung sich erfüllt hätte – bei Ihm sein würde. Ich würde an der Krippe knien, und ich würde die winzige Hand des Christkindes berühren.
Gott war schließlich ewig – Kind, Mann, gekreuzigter Erlöser, Gott Vater und Gott Heiliger Geist – alles in einem. Das sah ich beinahe sofort mit absoluter Klarheit. Ich sah es so vollständig, daß die theologischen Fragen mich zum Lachen brachten.
Als ich Italien verließ, war ich ein Priester Gottes, ein berühmter Prediger, ein Sänger von Lobliedern, zuweilen auch ein Heiler und ein Mann, der Trost und Glück all denen brachte, die er kannte.
Aber mit größerer Sorgfalt will ich jetzt erklären:
Von Anfang an pflegten meine unschuldige Art und meine Unmittelbarkeit alle zu erstaunen. Nie errieten sie den wahren Grund dafür: daß ich ein Kind war. Daß ich in Milch und Käse schwelgte, erheiterte die Leute. Die Geschwindigkeit, mit der ich lernte, erweckte Liebe bei allen, die mich umgaben. Binnen kurzer Zeit konnte ich italienisch, englisch und lateinisch schreiben.
Kompromißlose Frömmigkeit erfaßte mich an Leib und Seele.
Keine Aufgabe war zu gering für mich. Ich ging mit denen, die sich um die Aussätzigen vor den Toren der Stadt kümmerten. Ich hatte keine Furcht vor den Aussätzigen. Ich hätte welche haben können, denke ich, aber dann pflegte ich sie nicht, und darin liegt ein Schlüssel zu meiner Natur. Ich schien dazu fähig zu sein, nur das zu pflegen, was ich haben wollte.
Nichts hatte mich bis dahin ernsthaft abgestoßen, nichts außer Haß und Gewalt. Und diese Haltung blieb in all meinen Jahren auf Erden unverändert. Entweder machte mich etwas traurig, oder es verführte mich. Dazwischen gab es selten etwas.
Ja, ich war fasziniert von den Aussätzigen, weil andere Leute solche Angst vor ihnen hatten; und natürlich wußte ich, wie Franziskus gekämpft hatte, um dies zu überwinden, und ich war entschlossen, seine Größe auch zu erlangen. Ich tröstete die Aussätzigen. Ich badete und kleidete die, die schon zu krank waren, um noch selbst für sich zu sorgen. Als ich gehört hatte, daß die Hl. Katharina von Siena einmal das Badewasser eines Aussätzigen getrunken hatte, tat ich es ihr fröhlich nach.
Sehr bald wurde ich in Assisi bekannt – der Unschuldige, der Verwirrte, der Tor Gottes sozusagen, ein junger Mönch, der wahrlich vom Geiste des Hl. Franziskus entflammt war und der aus natürlichem Antrieb tat, was Franziskus sich von uns allen wünschte.
Und weil ich so ganz und gar unverbildet erschien, so unfähig zur Hinterlist, so kindlich, wenn ihr wollt, neigten die Menschen dazu, sich mir zu öffnen, mir alles Mögliche zu erzählen, angespornt von meinem hellen, neugierigen Blick. Ich hörte mir alles an. Kein Wort war verschwendet. Stellt es euch vor – das große Kind, das ich war, erlernte aus den kleinsten Gesten der Menschen, aus ihren unbedeutendsten Geständnissen, alle großen Wahrheiten des Lebens.
Das also geschah in meinem Geist.
Nachts lernte ich lesen und schließlich auch schreiben, und dann schrieb ich ständig und schlief so wenig wie möglich. Ich lernte Gedichte und Lieder auswendig. Ich studierte die Bilder in der Basilika, die großen Wandgemälde von Giotto, die von allen bedeutenden Ereignissen aus dem Leben des Hl. Franziskus berichten, auch davon, wie er die Stigmata bekam – die
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