Tanz der Hexen
oder? Auf der Reise war ich noch ein Stück größer geworden, und in den Augen der Welt erschien ich wie ein starker, gesunder Mensch von etwa zwanzig Jahren.
Assisi selbst lag ziemlich hoch, so daß man von manch einem Felsenvorsprung die umgebende Landschaft in all ihrer sanften Pracht sehen konnte, die viel einladender war als die bedrohlichen, schneebedeckten Gipfel und Felsen, wie sie Donnelaith umgeben hatten.
Tatsächlich verschwammen meine Erinnerungen an die Ereignisse in Donnelaith immer mehr. Wenn ich nicht in den nächsten paar Wochen schreiben gelernt und mir alles in einer Geheimschrift notiert hätte, dann wäre mein Ursprung womöglich tatsächlich aus meinem Gedächtnis getilgt worden. Im Laufe der Zeit wurde das alles jedenfalls sehr vage.
Aber ich will zum Augenblick zurückkehren. Zur Mittagsstunde kamen wir durch die Tore von Assisi. Sofort brachte man mich zur Basilika des Hl. Franziskus am anderen Ende der Stadt – einem großartigen Gebäude, wenngleich keineswegs so kalt wie die Kathedrale von Donnelaith. Das Gebäude hatte keine Spitzbögen, sondern runde, und an den Wänden prangten lebendige, wunderbare Bilder des Heiligen; darunter aber stand sein Schrein, zu dem die Gläubigen in Scharen pilgerten, wie sie in meiner Heimat zu St. Ashlar gekommen waren.
Zu Hunderten zogen sie um den massigen Sarkophag des Heiligen herum, der kein Bildnis trug; sie legten die Hände darauf, küßten ihn und beteten laut zum Hl. Franziskus, um ihn um Heilung zu bitten, um Trost und um seine besondere Fürsprache beim lieben Gott.
Auch ich legte meine Hände auf den Sarkophag und betete zu Franziskus, der für mich zu einer Persönlichkeit geworden war, einer Gestalt, in Farbe und Romantik gehüllt. »Franziskus«, hauchte ich vor dem Stein. »Ich bin hier. Ich bin hier, um ein Ordensbruder zu werden, aber du weißt, daß man mich hergeschickt hat, damit ich ein Heiliger werde.«
Stolz durchströmte mich; niemand kannte das Geheimnis: daß ich eines Tages mit den Regeln des Hl. Franziskus nach Schottland zurückkehren und möglicherweise mein Volk erretten würde, wie es der gute Father dort gesagt hatte. Es war mir bestimmt, durch Demut Großes zu erreichen.
Stunden blieb ich in der Kapelle, beinahe trunken von der Frömmigkeit derer, die durch die große steinerne Grabkammer zogen. Ich fühlte ihre Inbrunst fast wie Musik. Ja, jetzt war mir klar, daß ich hypersensitiv war, wie man heute sagen würde – nicht nur gegen Musik, sondern allgemein gegen Klänge. Das Trillern der Vögel, das Timbre der menschlichen Stimme, der Rhythmus und die zufälligen Reime der Sprache, all das wirkte auf mich. Ja, als ich einen Menschen traf, der von Natur aus in Alliterationen redete, war ich davon wie gelähmt.
Aber was mich hier in der Kapelle lahmte, war das Delirium der Gläubigen und die besondere Intensität der Frömmigkeit, die St. Franziskus selbst inspiriert hatte.
Noch am selben Tag wurde ich hinaufgeführt zu den Carceri, jener Einsiedelei, in der Franziskus und seine ersten Anhänger ihr einsames Leben geführt hatten. Dort lagen ihre ersten Zellen. Man hatte einen großartigen und wunderbaren Blick auf die Landschaft. Hier hatte der Hl. Franz gelebt und gebetet.
Ich dachte jetzt überhaupt nicht mehr daran, fortzugehen. Was mir Sorgen machte, war nicht das Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams. Was ich fürchtete, war mein heimlicher Stolz; ich fürchtete, die Legende des Hl. Ashlar werde an meiner Seele zehren, während sie mich weitertrieb.
Hier will ich innehalten, um auf einen überaus wichtigen Punkt hinzuweisen. Ich sollte Italien – und das Leben der Franziskaner – für über zwanzig Jahre nicht mehr verlassen. Wie viele es genau waren? Ich weiß es nicht. Ich wußte es noch nie. Dreiunddreißig Jahre waren es nicht, denn das ist das Alter Christi, und das hätte ich behalten.
Ich sage euch dies, damit ihr zweierlei begreift. Ich werde in dieser Geschichte nicht so schnell nach Donnelaith zurückkehren. Und in dieser Zeit blieb mein Körper kraftvoll, geschmeidig und ganz unverändert. Meine Haut wurde wohl etwas dicker, verlor ihre kindliche Weichheit, und mein Gesicht gewann ausdrucksvolle Falten – aber nicht viele. Ansonsten… nun, fast jedenfalls… blieb ich derselbe.
Ich will, daß ihr versteht, wie glücklich ich in diesem Franziskanerleben war, wie natürlich es mir erschien, denn dies ist in gewissem Maße der Kern des Anliegens, das ich vortragen
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