Tanz der Hexen
Das heißt, sie hielt sich nicht für schlecht, und sie wollte auch nichts Böses tun. Sie war einfach nur… eine He i din.
Und Freiheit hatte sie in der Tat für ihr heidnisches Treiben, so betrunken, wie ihre Eltern immer waren, und das Geständnis ihrer beschleunigten sexuellen Aktivität war ebenfalls berechnet gewesen. Wenige Wochen nach ihrer Entscheidung, in dieser Hinsicht aktiv zu werden, hatte das Telefon nicht mehr aufgehört zu läuten, und die Geschichten von ihren verschi e denen Liaisons hatten kein Ende gehabt. »Weißt du, daß das Kind es gern auf dem Friedhof treibt?!« hatte Cecilia gerufen.
Aber was konnte Gifford da machen? Alicia war inzwischen ihr bloßer Anblick zuwider. Sie wollte Gifford nicht ins Haus la s sen, obwohl Gifford natürlich trotzdem dauernd kam. Die uralte Evelyn erzählte niemandem, was sie sah und was sie nicht sah.
»Ich habe dir alles über meine Freunde erzählt«, hatte Mona gesagt. »Fang nicht an, dir deswegen Sorgen zu machen.«
Zumindest erzählte die uralte Evelyn nicht mehr Tag und Nacht diese Geschichten, wie sie und Julien einstmals zusammen zur Musik des Victrola getanzt hatten. Und vielleicht war es nie an Monas zarte Ohren gedrungen, daß ihre Urgroßmu t ter eine Affäre mit Cousine Stella gehabt hatte. Davon hatte schließlich noch nicht einmal der clevere Mr. Lightner etwas gewußt. In seinem Bericht stand kein Wort über Stellas D a men.
»Das war meine große Zeit«, hatte die uralte Evelyn Gifford und Alicia voller Genuß erzählt. »Wir waren in Europa, und Stella und ich waren zusammen in Rom, als es passierte. Ich weiß nicht, wo Lionel war, und diese schreckliche Kinderfrau, sie war mit der kleinen Antha unterwegs. Ich habe die Liebe nie so erlebt wie mit Stella. Stella war mit vielen Frauen z u sammengewesen, das erzählte sie mir an jenem Abend. Sie konnte sie gar nicht mehr zählen. Sie sagte, die Liebe der Frauen sei so etwas wie die Creme de la Creme. Ich glaube, das stimmt auch. Ich hätte es wieder getan, wenn es je noch einmal eine gegeben hätte, die mein Herz stahl, wie Stella es gestohlen hatte. Ich weiß noch, als wir aus Europa zurückk a men, gingen wir zusammen ins French Quarter. Stella hatte da eine kleine Wohnung, und wir schliefen in dem großen Bett, und dann aßen wir Austern und Shrimps und tranken Wein zusammen. Oh, diese Wochen in Rom waren zu kurz gew e sen. Oh…« Und so war es immer weiter gegangen, bis sie wieder beim Victrola angekommen waren. Julien hatte es ihr geschenkt. Stella hatte Verständnis. Stella wollte es nie z u rückhaben. Mary Beth war es gewesen, die in die Amelia Street gekommen war und gesagt hatte: »Gib mir Juliens Vi c trola.« Da war er sechs Monate tot gewesen, und sie hatte seine Zimmer auf den Kopf gestellt.
»Natürlich habe ich es ihr nicht gegeben.« Und dann hatte die uralte Evelyn Gifford und Alicia immer mit in ihr Zimmer genommen und das kleine Victrola aufgezogen. Sie hatte viele alte Music-Hall-Songs gespielt, und dann die Arien aus La Traviata. »Diese Oper habe ich mit Stella in New York ges e hen. Wie sehr ich Stella liebte…«
»Meine Liebe«, hatte sie irgendwann einmal zu jeder von i h nen gesagt – zu Alicia, zu Gifford und auch zur kleinen Mona, die da vielleicht noch zu jung war, um es zu verstehen – »Irgendwann mußt du die sanfte Nachgiebigkeit und die kostbare Liebe einer anderen Frau kennen lernen. Sei nicht töricht. Es ist nichts Abnormales. Es ist Zucker zum Kaffee. Es ist Er d beereis. Es ist Schokolade.«
Kein Wunder, daß Alicia das geworden war, was man eine perfekte Schlampe nannte. Sie hatte nie gewußt, was sie tat. Sie hatte mit den Matrosen von den Schiffen geschlafen, mit Soldaten, mit jedem x-beliebigen Kerl, bis Patrick sie schwungvoll aufgehoben hatte. »Alicia, ich werde dich retten.«
In ihrer ersten Nacht hatten sie lange und ausgiebig getrunken, bis zum Morgengrauen, und dann hatte Patrick bekannt gegeben, daß er Alicia an die Hand nehmen werde. Sie sei eine verlorene Seele, das kleine Ding, und er werde jetzt für sie sorgen. Sie wurde schwanger von ihm, mit Mona. Aber das waren die Jahre des Champagners und des Lachens gew e sen. Jetzt waren sie nur noch gewöhnliche Säufer; es war nichts Romantisches mehr da. Nur Mona.
Gifford schaute auf die Uhr – die winzige goldene Armbanduhr, die ihr die uralte Evelyn geschenkt hatte. Ja, noch wen i ger als eine Stunde dauerte der Mardi Gras, und dann, zur Hexenstunde, begann der Aschermittwoch,
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