Tanz der Hexen
sie gefragt: »Was ist der Unterschied zw i schen Männern und Frauen?«
Mona hatte gesagt: »Männer wissen nicht, was passieren kann. Sie sind glücklich. Aber Frauen wissen, was alles pa s sieren kann. Sie machen sich dauernd Sorgen.«
Gifford hatte darüber gelacht. Ihre andere kostbare Erinnerung galt der sechsjährigen Mona. Alicia war auf der Veranda des Hauses in der Amelia Street zusammengeklappt und hatte auf ihrer Handtasche gelegen, und weil Mona den Schlüssel nicht herausbekommen hatte, war sie am Verandagitter hinauf zum Fenster hoch oben im ersten Stock geklettert; dort hatte sie mit dem Absatz ihres Schuhs vorsichtig ein ganz kleines, gezacktes Loch in die Fensterscheibe geschlagen, gerade groß genug, daß sie hineingreifen und den Riegel erreichen konnte. Natürlich hatte die ganze Scheibe ersetzt werden müssen, aber Mona war so ordentlich zu Werke gegangen, so selbsts i cher. Nur sehr kleine Glassplitter lagen unten auf dem Rasen und oben auf dem Teppich. »Wieso klebt ihr nicht einfach Bu t terbrotpapier darüber?« hatte sie nachher gefragt, als Gifford den Glaser gerufen hatte, damit er das Fenster wieder in Or d nung brachte. »So werden hier in dieser Bude alle Löcher r e pariert.«
Wieso hatte Gifford zugelassen, daß das Kind so etwas durchmachte? Und Mona machte es immer noch durch. Das war noch so ein Karussell von Trauer und Schuldbewußtsein, auf dem sie stundenlang im Kreis fahren konnte. Genau wie das Michael-und-Rowan-Karussell. Und warum auch nicht? Es verging ja kein Monat, in dem Gifford nicht an jenes Ereignis denken mußte und wieder vor sich sah, wie die sechsjährige Mona die bewußtlose Alicia durch die Haustür schleifte. Und wie Dr. Blades aus der Klinik auf der anderen Straßenseite angerufen hatte.
»Gifford, Ihre Schwester ist wirklich krank, wissen Sie. Und das Kind und die uralte Evelyn haben alle Hände voll zu tun.«
»Mach dir keine Sorgen um Mona«, sagte Ryan jetzt, als kö n ne er in ihrem unbehaglichen, müden Schweigen ihre Gedanken lesen. »Mona ist die geringste unserer Sorgen. Wir haben für Dienstag eine Konferenz zu Rowans Verschwinden anberaumt. Wir wollen uns alle zusammensetzen und en t scheiden, was zu tun ist.«
»Wie könnt ihr entscheiden, was zu tun ist?« fragte Gifford. »Ihr habt keine Hinweise darauf, daß Rowan gezwungen wird, sich von Michael fernzuhalten. Ihr…«
»Doch, Honey, wir haben Hinweise darauf, sogar sehr nachdrückliche Hinweise. Das ist es ja. Wir sind jetzt sicher, daß die letzten beiden Schecks, mit denen Rowans Konto belastet wurde, nicht von ihr unterschrieben wurden. Und das ist es, was wir Michael sagen müssen.«
Schweigen. Das war die erste handfeste Erkenntnis. Und es traf Gifford so hart, als habe ihr jemand einen Schlag vor die Brust versetzt. Sie holte tief Luft.
»Wir wissen mit Sicherheit, daß die Unterschriften gefälscht sind«, sagte Ryan. »Und, Honey, das waren die letzten Schecks. Es gibt keinerlei Bankbewegungen mehr, seit sie vor zwei Wochen in New York eingelöst wurden.«
»In New York?«
»Ja. Da verläuft sich die Spur, Gifford. Wir sind nicht mal s i cher, ob Rowan selbst in New York war. Weißt du, ich habe wegen dieser Sache heute dreimal am Telefon gehangen. Im Rest des Landes gibt es keinen Mardi Gras. Als ich nach Ha u se kam, war der Anrufbeantworter voller Nachrichten. Der Arzt, mit dem Rowan telefoniert hat, ist von San Francisco unterwegs hierher. Er hat Wichtiges zu berichten. Aber er weiß auch nicht, wo Rowan ist. Diese Schecks sind das letzte bi ß chen -«
»Ich kann dir schon folgen«, sagte Gifford matt.
»Schau, Pierce holt den Arzt morgen ab. Ich werde dich abh o len kommen. Das habe ich mir schon überlegt.«
»Das ist absurd. Ich habe meinen Wagen hier. Ryan, geh zu Bett und schlaf. Ich bin morgen rechtzeitig zu Hause, um di e sen Arzt aus San Francisco zu sehen.«
»Ich will dich aber abholen, Gif. Ich miete mir einen Wagen und fahre mit deinem nach Hause.«
»Das ist Unsinn, Ryan. Ich fahre am Mittag ab. Ich habe es schon geplant. Triff du dich mit dem Arzt. Geh in die Kanzlei. Tu, was immer du zu tun hast. Entscheidend ist, die Familie hat sich getroffen, und es war herrlich, ganz so, wie es sein sollte, ob mit oder ohne Rowan. Michael ist anscheinend kein Spielverderber. Und zwei gefälschte Schecks – na, was b e deutet das schon?«
Schweigen. Natürlich wußten sie beide, was es bedeuten konnte.
»Gifford.«
»Ja, Ryan?«
»Ich möchte dich etwas
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