Tanz der Hexen
Gifford war. Sie war durch die Kneipen in der Stadt gezogen und hatte mit fremden Männern getrunken, und dann hatte Granddaddy Fielding sie mit Patrick »verbandelt«, um sie wenigstens ein bißchen unter Kontrolle zu halten. Von allen Cousins ausgerechnet mit Patrick. Eine grausige Idee, obwohl er an sich damals gar keinen so schlechten Eindruck gemacht hatte.
Das ist mein Blut, dachte Gifford, all diese Leute sind von me i nem Blut. Das ist meine Schwester, verheiratet mit ihrem Co u sin zweiten oder dritten Grades, mit Patrick – was immer er sein mag. Nun, eins läßt sich mit Sicherheit sagen: Mona ist keine Idiotin. Ein Kind der Inzucht, ja, die Tochter einer Alkoholikerin, ja, aber davon abgesehen, daß sie ziemlich »petite« war – wie man im Süden von kleinen Mädchen sagte -, war sie in jeder Hinsicht eine Siegerin.
Wahrscheinlich weit und breit die hübscheste der ganzen Ma y fair-Generation, und sicher die intelligenteste, skrupelloseste und streitbarste, auch wenn Gifford nicht aufhören konnte, Mona zu lieben, ganz gleich, was Mona anstellte. Sie mußte lächeln, wenn sie daran dachte, wie Mona einmal auf dem Schießstand ihre Pistole abgefeuert und ihr durch die Ohrenschützer zugebrüllt hatte: »Komm schon, Tante Gifford, du weißt nie, wann du sie vielleicht mal benützen mußt. Komm schon – mit beiden Händen.«
Selbst Monas sexuelle Reife – diese irrwitzige Idee, daß sie viele Männer kennen müsse – war ein Teil ihrer Altklugheit. Und Gifford mußte sich ihrem Beschützerinstinkt zum Trotz eingestehen, daß sie für die Männer fürchtete, die Monas Aufmerksamkeit erregten. Mona, die Herzlose. Mit dem alten Randall zum Beispiel war etwas Scheußliches passiert; es war beinahe sicher, daß Mona ihn verführt und dann das Interesse an dem ganzen Unternehmen verloren hatte. Aber niemand rückte natürlich mit der Sprache heraus. Bestimmt nicht Ra n dall, der fast einen Schlaganfall bekam, wenn man bloß M o nas Namen erwähnte; er lamentierte dann immer herum, er könne nun wirklich »keiner Fliege etwas zuleide tun«, von e i nem Kind ganz zu schweigen, und so weiter. Als ob sie ihn ins Gefängnis werfen wollten.
Und wenn man bedachte, daß die Talamasca mit ihrer ganzen Gelehrsamkeit nichts von Mona wußte! Und auch nicht von der uralten Evelyn und von Onkel Julien. Nichts wußte von dem einen kleinen Mädchen von heute, das womöglich eine echte Hexe war – ganz im Ernst.
Es erfüllte Gifford mit verwirrender, beinahe peinlicher Genugtuung, daran zu denken. Daß die Talamasca ebenso w e nig wußte wie die Familie, warum Julien damals Augustin erschossen hatte, oder was Julien im Schilde geführt und weshalb er so viele uneheliche Kinder hinterlassen hatte.
Mona immerhin konnte zwischen Wirklichkeit und Fantasie unterscheiden. Alicia nicht. Deshalb trank sie. Die meisten Mayfairs konnten es nicht. Ryan, Giffords Mann, konnte es nicht. In seiner Weigerung, an irgend etwas Übernatürliches oder in sich Böses zu glauben, war er ebenso unrealistisch wie eine alte Voodoo-Queen, die überall nur Geister sah.
Aber Mona hatte ihren eigenen Kopf. Selbst als sie Gifford letztes Jahr angerufen hatte, um ihr bekanntzugeben, daß sie, Mona Mayfair, keine Jungfrau mehr sei, und daß der eigentl i che Augenblick der Defloration unwichtig gewesen, die Verä n derung ihrer Sichtweise aber das Wichtigste von der Welt sei, da hatte sie nicht versäumt, noch hinzuzufügen: »Ich nehme die Pille, Tante Gifford, und ich habe einen genauen Plan. Er hat etwas mit Entdecken zu tun. Erfahrungen machen, aus dem Kelch trinken, du weißt schon, all das, was die uralte Ev e lyn immer gesagt hat. Aber ich bin dabei sehr gesundheitsb e wußt.«
»Kannst du denn Recht von Unrecht unterscheiden, Mona?« hatte Gifford gefragt – überwältigt, und im tiefsten Herzen in s geheim auch ein bißchen neidisch.
»Ja, das kann ich, Tante Gifford, und das weißt du auch. Und ich gebe zu Protokoll, daß ich mich soeben wieder für die E h renurkunde qualifiziert habe. Ich habe das Haus geputzt. Und ich habe es geschafft, Mom und Dad dazu zu bringen, daß sie etwas essen, bevor sie ihre allnächtliche Party starten. Alles ist hübsch ruhig hier oben. Die uralte Evelyn hat heute g e sprochen. Sie hat gesagt, sie wolle auf der Veranda sitzen und zugucken, wie die Straßenbahn vorbeifährt. Also, keine Sorge. Ich habe alles im Griff.«
Alles im Griff!
Mona war nicht unschuldig, außer im ernstesten Sinne des Wortes.
Weitere Kostenlose Bücher