Tanz der Hexen
Talamasca. Er suchte nach einer Rolle für sich – konnte er vielleicht für Aaron Informationen über Donnelaith sammeln? Ansonsten aber machte die Geschichte insgesamt keinen besonderen Eindruck auf ihn. Die Akten der Talamasca waren voll von seltsamen Geschichten, und manche davon waren weit seltsamer als diese hier.
In der Woche vor Weihnachten gaben die Ältesten bekannt, daß David Talbot von seinem Amt als Generaloberer zurücktrete und daß ein Mann von deutsch-italienischer Herkunft, Anton Marcus, sein Nachfolger sein werde. Niemand in London kannte Anton Marcus.
Auch Yuri wußte nicht, wer er war. Seine Hauptsorge war, daß er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich von David Talbot zu verabschieden. Davids Verschwinden war einigermaßen geheimnisumwoben .
Anton Marcus traf einen Tag nach der Bekanntmachung ein. Mit seinem Charme und seinen intimen Kenntnissen über Geschichte und Herkunft eines jeden Mitglieds gewann er sofort alle für sich, und bald herrschte wieder Frieden im Londoner Mutterhaus.
Anton Marcus sprach nach dem Abendessen im großen Speiseraum zu allen Mitgliedern. Mit seiner großen Gestalt, seinem glatten Silberhaar und der dicken, goldgeränderten Brille bot er die saubere Erscheinung eines Managers, und er sprach mit dem geschmeidigen britischen Akzent, den die Talamasca anscheinend bevorzugte. Yuri sprach inzwischen selbst mit diesem Akzent.
Anton Marcus erinnerte alle daran, wie wichtig die Geheimhaltung und Diskretion hinsichtlich der Ältesten sei. Die Ält e sten sind mitten unter uns. Aber sie können uns nicht wirkungsvoll lenken, wenn sie zur Rede gestellt und angezweifelt werden. Die Ältesten arbeiten am besten als anonymes Gremium, auf das wir alle vertrauen.
Yuri zuckte mit den Schultern.
Als er eines Morgens gegen zwei in sein Zimmer kam, fand er ein Kommunique der Ältesten in seinem Drucker vor. »Wir freuen uns, daß ihr Anton so herzlich willkommen geheißen habt. Wir glauben, daß Anton ein vorzüglicher Generaloberer sein wird. Wenn euch die Eingewöhnung Schwierigkeiten bereiten sollte, laßt es uns wissen: Wir sind für euch da.« Und ein Auftrag für Yuri war dabei. Er sollte nach Dubrovnik fahren, mehrere wichtige Pakete holen und nach Amsterdam bringen, und dann sollte er wieder nach Hause kommen. Routine. Ein Kinderspiel.
Yuri wäre nach New Orleans gefahren, um Weihnachten mit Aaron zu verbringen, wenn Aaron ihm nicht am Telefon gesagt hätte, das sei nicht möglich, und die Ermittlungsarbeit sei momentan höchst entmutigend, so entmutigend wie noch nie zuvor in seiner Laufbahn.
»Was ist denn bei den Mayfair-Hexen passiert?« fragte Yuri und ob er denn im Zusammenhang mit den Ermittlungen vielleicht eine kleine Aufgabe übernehmen könne. Aaron verneinte.
»Behalte deinen Glauben, Yuri«, sagte er. »Ich sehe dich wi e der, wenn Gott es will.«
Solche Äußerungen waren nicht Aarons Art. Für Yuri war es das erste klare Signal, daß hier wirklich etwas ganz entschi e den nicht in Ordnung war.
Es war früh am Heiligen Abend in New Orleans, als Aaron in London anrief. »Eine so schwierige Zeit habe ich noch nie erlebt«, sagte er. »Es gibt Dinge, die ich tun möchte und die der Orden mir nicht erlaubt. Ich muß hier auf dem Lande bleiben, und ich möchte doch in die Stadt. Was habe ich dir immer g e predigt, Yuri? Daß es von absoluter Bedeutung ist, den Regeln des Ordens zu gehorchen.«
»Was würdest du denn tun, wenn du könntest, Aaron?« fragte Yuri.
Aaron sagte, Rowan Mayfair werde in schreckliche Schwierigkeiten kommen; Rowan brauche ihn, und er müsse zu ihr und tun, was er könne. Aber die Ältesten hätten es ihm verboten. Die Ältesten hätten ihm befohlen, im Mutterhaus von Oak Haven zu bleiben, und er könne nicht »eingreifen«.
»Aaron«, sagte Yuri, »in der ganzen Geschichte der Mayfair-Hexen haben wir immer wieder – vergebens – versucht, einzugreifen. Es ist für dich bestimmt nicht ungefährlich, in der Nähe dieser Leute zu sein – ebenso wenig, wie es das für Stuart Townsend oder Arthur Langtry war, die beide infolge ihrer Kontakte ums Leben kamen. Was kannst du denn tun?«
Aaron pflichtete ihm widerstrebend bei. Er sprach davon, daß David und Anton wahrscheinlich ganz recht daran taten, ihn vom Geschehen fernzuhalten. Gleichwohl sei es schwer.
»Ich bin nicht sicher, daß das Leben als Zuschauer am Spielfeldrand Vorzüge hat«, sagte Aaron. »Ich bin ganz und gar nicht sicher. Vielleicht habe ich immer auf den
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