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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ältesten. Er fing an, sie nach vielem zu fragen. Und sie blieben ihm nie eine Antwort schuldig.
    Morgens, wenn Yuri zum Frühstück hinunter ins Refektorium ging, schaute er sich um und fragte sich, wer wohl ein Ältester sein mochte, und wer von denen hier im Raum wohl in der Nacht seinen Brief beantwortet haben mochte. Natürlich hätte alles, was er schrieb, auch woandershin übermittelt werden können; das konnte er nicht wissen. Älteste gab es in allen Mutterhäusern, und man wußte lediglich, daß sie die alten Ordensmitglieder waren, die erfahrenen, diejenigen, die den Orden in Wirklichkeit führten, wenngleich der Generalobere, den sie ernannten und dem sie allein verantwortlich waren, das eigentliche Oberhaupt ihrer Gemeinschaft war.
    Als Aaron nach London zurückkehrte, war es ein trauriger Tag für Yuri; das Haus in Amsterdam war sein erstes festes Heim gewesen. Er wollte sich nicht von Aaron trennen, und so ve r ließen sie das Amsterdamer Mutterhaus zusammen und zogen in das große Haus vor den Toren Londons, das ebenso schön und warm und sicher war.
    Yuri liebte bald auch London. Als er erfuhr, daß er nach O x ford gehen sollte, um zu studieren, war er entzückt über diese Entscheidung. Sechs Jahre verbrachte er dort, und an den Wochenenden kam er oft nach Hause, um sozusagen ins Geistesleben einzutauchen.
    Mit sechsundzwanzig war Yuri bereit, ein ernsthaftes Mitglied des Ordens zu werden. Er hegte nicht den leisesten Zweifel. Die Reisen, mit denen Aaron und David ihn betrauten, waren ihm willkommen. Bald erhielt er Reisebefehle auch unmittelbar von den Ältesten. Ihnen erstattete er über den Computer B e richt, wenn er zurückkam.
    »Auftrag von den Ältesten«, sagte er zu Aaron, wenn er abre i ste. Aaron stellte nie irgendwelche Fragen, und er schien auch nie besonders überrascht zu sein.
    Aber wohin er auch reiste und was er auch tat, immer telefonierte Yuri mit Aaron. Auch David Talbot war er treu ergeben, aber es war kein Geheimnis, daß David Talbot alt war und des Ordens müde; vielleicht würde er bald als Generaloberer z u rücktreten, und vielleicht würden die Ältesten ihn sogar höflich bitten, sein Amt niederzulegen.
    Aaron war derjenige, auf den Yuri ansprach, und Aaron war es, der ihm wirklich am Herzen lag.
    Yuri wußte, daß zwischen Aaron und ihm ein besonderes Band bestand. Für Yuri war es die machtvolle, irrationale Li e be, die ihre Wurzeln in der Kindheit bildet, in der Einsamkeit, in unauslöschlichen Erinnerungen an Zärtlichkeit und Errettung – eine Liebe, die niemand zerstören kann außer dem, der sie empfängt. Aaron ist mein Vater, dachte Yuri, wie er auch für Andrew ein Vater gewesen sein muß.
    Als Yuri älter wurde, war er öfter unterwegs. Er liebte es, allein umherzureisen. Am wohlsten fühlte er sich in der Anonymität. Er brauchte eine Vielfalt von Sprachen um sich herum, mußte immer wieder eintauchen in Riesenstädte, die von Menschen aller Stände und Altersgruppen bevölkert wurden; wenn er dort eintauchen konnte, dann fühlte er sich so lebendig wie nie.
    Aber an fast jedem Tag seines Lebens – wo immer er auch sein mochte – telefonierte Yuri mit Aaron. Aaron tadelte Yuri nie für diese Abhängigkeit. Im Gegenteil, Aaron war immer erreichbar und bereit für Yuri, und im Laufe der Jahre vertraute auch er Yuri mehr und mehr von seinen eigenen Gefühlen an, sprach von seinen eigenen kleinen Erfahrungen und Hoffnu n gen.
    Manchmal redeten sie auf behutsame Weise über die Ält e sten, aber Yuri konnte aus diesen Gesprächen nicht entne h men, ob Aaron nun einer von ihnen war oder nicht. Natürlich sollte er es auch gar nicht wissen, aber er war doch ziemlich sicher, daß Aaron ein Ältester war. Wenn er keiner war, wer dann? Aaron war einer der ältesten und klügsten Männer, die weltweit in der Talamasca zu finden waren.
    Als Aaron monatelang in den Vereinigten Staaten blieb und den Mayfair-Hexen nachspürte, war Yuri enttäuscht. Er hatte noch nie erlebt, daß Aaron dem Mutterhaus so lange ferng e blieben war.
    Als Weihnachten näherkam, für Yuri eine Zeit der Einsamkeit wie für so viele, da setzte er sich an den Computer und rief die Datei über die Mayfair-Hexen auf; er druckte sie vollständig aus und studierte sie sehr sorgfältig, um zu begreifen, was Aaron in New Orleans so lange aufhielt.
    Yuri las die Geschichte der Mayfair-Hexen mit Genuß, aber sie erweckte keine bestimmten Gefühle in ihm, nicht mehr als i r gendeine andere Akte der

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