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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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– Studierende, wenn du willst. Wir sammeln Aufzeichnungen, und wir sind dafür verantwortlich, Zeugen zu sein. Das heißt, wir fühlen uns dafür verantwortlich. Das ist unsere Tätigkeit. Ich erkläre dir das alles im Flugzeug.«
    »Gedankenleser«, sagte Yuri.
    »Ja«, sagte der Mann. »Und Ausgestoßene, Einsame, die manchmal ganz auf sich allein gestellt sind. Und Leute, die manchmal besser sind als andere, manchmal viel besser. Wie du. Mein Name ist Aaron Lightner. Ich wünschte, du würdest mit mir kommen.«
    Im Mutterhaus in Amsterdam überzeugte Yuri sich zuerst d a von, daß er entkommen konnte, wann immer er wollte. Wieder und wieder überprüfte er die vielen unverschlossenen Türen. Sein Zimmer war klein und makellos, und durch das Fenster sah man die Gracht und den kopfsteingepflasterten Kai. Er liebte es. Das helle Licht Italiens fehlte ihm; hier war es trüber, nördlicher – wie in Paris -, aber das war in Ordnung. Drinnen gab es warme Kaminfeuer, weiche Sofas und Sessel zum D ö sen, feste Betten und eine Menge gutes Essen. Die Straßen von Amsterdam gefielen ihm, denn es gab viele alte Häuser aus dem siebzehnten Jahrhundert, eines neben dem anderen, die langgestreckte solide und schöne Fassaden bildeten. Die steilen Giebel gefielen ihm. Die Ulmen gefielen ihm. Die sa u ber duftende Kleidung, die er bekam, gefiel ihm, und nach einer Weile gefiel ihm sogar die Kälte.
    Leute mit fröhlichen Gesichtern gingen im Mutterhaus aus und ein. Tagtäglich war immer wieder die Rede von den Ältesten, aber Yuri wußte nicht, wer diese Leute waren.
    Und reden wollte er immer noch nicht. Dann, nach langem Drängen, erzählte er die Geschichte von dem Maharadscha.
    »Nein«, sagte Aaron. »Erzähle mir, was wirklich passiert ist.«
    »Warum sollte ich Ihnen irgend etwas erzählen?« wollte Yuri wissen. »Ich weiß gar nicht, weshalb ich mit Ihnen hergekommen bin.« Es war jetzt ein Jahr her, daß er jemandem die Wahrheit über sich gesagt hatte. Auch Andrew hatte er nicht die Wahrheit gesagt. Warum dann diesem Mann? Und plöt z lich tat er es: Er bestritt, daß er irgendein Bedürfnis habe, die Wahrheit zu sagen, sich jemandem anzuvertrauen oder irgend etwas zu erklären, aber er tat es. Er erzählte von seiner Mu t ter, von den Zigeunern, von allem… Er erzählte und erzählte. Die Nacht ging dahin, der Morgen dämmerte, und noch immer saß Aaron Lightner ihm gegenüber am Tisch und hörte zu, und Yuri erzählte und erzählte und erzählte.
    Und als er fertig war, kannte er Aaron Lightner, und Aaron Lightner kannte ihn. Und man entschied, daß Yuri die Tal a masca nicht verlassen würde, zumindest jetzt noch nicht.
    Sechs Jahre lang ging Yuri in Amsterdam zur Schule.
    Er wohnte im Haus der Talamasca, verbrachte die meiste Zeit mit Lernen, und nach der Schule und an den Wochenenden arbeitete er für Aaron Lightner; er gab Aufzeichnungen in den Computer ein, ging in der Bibliothek obskuren Verweisen nach und erledigte manchmal auch einfache Botengänge – brachte dies zur Post, holte jenes wichtige Paket ab.
    Nach und nach wurde ihm klar, daß die Ältesten überall um ihn herum waren, als ganz gewöhnliche Mitglieder des O r dens; aber niemand wußte genau, wer sie waren. Das ging so: Wenn man ein Ältester wurde, dann sagte man es niema n dem. Und es war verboten, jemanden zu fragen: »Bist du ein Ältester?« oder »Weißt du, ob Aaron ein Ältester ist oder nicht?« Es war sogar verboten, über diese Fragen im stillen zu spekulieren.
    Die Ältesten wußten, wer die anderen waren. Sie kommunizierten mit den übrigen per Computer und über die Faxgeräte im Mutterhaus. Ja, jedes Mitglied, auch ein inoffizielles Mi t glied wie Yuri, konnte mit den Ältesten reden, wenn es wollte. Mitten in der Nacht konnte er seinen Computer einschalten und einen langen Brief an die Ältesten schreiben, und irgen d wann am nächsten Morgen würde die Antwort aus dem Dru c ker kommen, würde Seite um Seite herausfließen.
    Das bedeutete natürlich, daß es viele Älteste gab, und daß manche von ihnen immer »in Rufbereitschaft« standen. Sie hatten keine echte Persönlichkeit, soweit Yuri es beurteilen konnte, keine echte Stimme, an der man sie hätte erkennen können, aber sie waren freundlich und aufmerksam, und sie wußten alles. Oft gaben sie zu erkennen, daß sie auch über Yuri alles wußten – vielleicht sogar Dinge, derer er sich selbst nicht sicher war.
    Sie faszinierte Yuri, diese stumme Kommunikation mit den

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