Tanz der Kakerlaken
erklärte er.
»Woher willst du das wissen?« erkundigte sich Josie.
»Sie hat's mir erzählt. Sie hat alles gebeichtet. Sie und Junker Sam sind los und haben's getan. Direkt da drüben in dieser Uhr. Ich schätze, du mußt unsere Ehe lösen, Dad.«
»So leicht geht das nicht mit einer Scheidung, mein Junge«, sagte Chid. »Du mußt den Fall vor Gericht bringen und die Genehmigung eines Friedensrichters einholen.«
»Wer ist der Friedensrichter?« fragte Archy.
»Das müßte der alte Doc Swain sein«, meinte Chid.
Archy ließ von neuem den Kopf hängen und murmelte: »Dann werd ich wohl mal zu ihm runtergehen.«
»Wo ist Tish?« fragte Josie.
»Mir egal«, sagte Archy. »Mir ehrlich egal. Meinetwegen könnte sie in der Hölle sein.«
»Nimm's nicht so schwer, Junge«, versuchte Chid seinen Sohn zu trösten. »Vielleicht hilft es dir, wenn du weißt, daß Tish deine Halbschwester war, deshalb wäre es ohnehin Inzest gewesen.«
»Was?!« rief Archy.
»Stimmt's nicht, Josie?« fragte Chid.
»Was?!« rief Josie.
»Na, Josie, erinnerst du dich denn nicht?« fragte Chid sanft und nostalgisch. »Erinnerst du dich nicht an jene Nacht, wie wir beide, du und ich, draußen im Gras, nach meiner Versammlung zum Tag des Baumes, letzten Herbst?«
»Häh?« machte Josie, offensichtlich bemüht, sich zu erinnern. »Warst du das? Wer es auch war, ich konnte ihn nicht sehen, weil wir Ende an Ende zusammensteckten, so wie's sich gehört, nicht wahr? Wart Ihr das, Hochwürden?«
Es war das erste Mal, daß jemand ihn »Hochwürden« nannte, seit der jüngst entschlafene Jack Dingletoon den Titel benutzt hatte, und Chid wurde sich bewußt, daß er es vermißte. »Na, aber natürlich war ich das, Josie, und ich hab dir die Murmel gegeben, aus der Tish entstanden ist.«
»Das kann nicht sein, Hochwürden«, erwiderte Josie, »weil ich nämlich den hübschen Jack Dingletoon getroffen hatte, und er hatte mich so betört, daß ich mir eine Murmel von ihm hab geben lassen, und, wie jeder weiß, wenn eine Dame einmal eine Murmel genommen hat, kann sie keine andere mehr nehmen.«
»Was?!« rief Chid.
Diese interessante Diskussion wurde durch das plötzliche Auftauchen von Leroy Sizemore, dem Wachtposten, unterbrochen, der ins Zimmer gestürzt kam und aufgeregt verkündete: »Chid! Chid! Er kommt!«
»Er?« sagte Chid. »Sie ist es, nach der du Ausschau halten solltest.«
Leroy war ganz außer Atem und mußte geräuschvoll durch all seine Tracheen Luft holen, bevor er weitersprechen konnte: »Nein, ich mein nicht Ihn. Ich meine ihn.«
»Wen?« fragte Chid.
»Junker Hank! Er kommt die Roamin Road rauf, genau hierher. Er kommt nach Hause!«
»Wer ist bei ihm?« wollte Chid wissen. »Ist Sam bei ihm?«
»Nein, nein, er ist allein.«
»Was regst du dich dann so auf?« fragte Chid.
34.
Sam machte sich zu einem Spaziergang auf. Es war nach Mitternacht, die Luft war klar und rein, der Himmel schwarz und mit Myriaden von Sternen übersät. Ich bin vielleicht der eine von nur zwei Junkern in Stay More, dachte Sam, aber es gibt Myriaden von anderen Junkern in Arkansas allein, und das ist nur ein kleiner Teil der Welt, die nur eine von Myriaden von Welten ist, die durchs Universum kreisen. Ist es nicht genug den eigenen Garten zu kennen? Sam bemerkte, daß die schweren Regenfälle die Pflanzen zum Sprießen gebracht hatten, vor allem das Unkraut, die Knackerlaken des Pflanzenreiches, die jetzt jedes noch so karge Heckchen Erde, das nicht von den kultivierten Pflanzen bedeckt wurde, in Besitz nahmen. Löwenzahn, Wegerich, Ampfer, Nachtschatten, Leinkraut, Gänsedisteln: Ihre Namen gemahnten Sam an unerwünschte, kriechende und kletternde, angefeindete, aber heftig gedeihende Wesen, wie Knackerlaken, vom Menschen verabscheut und doch nützlich, ein jedes mit seiner Funktion im großen Gefüge. Als Kind war Sam oft das hoch aufragende Geißblatt hinaufgeklettert, eine wunderschöne, großblättrige, ausladende, üppige und fleischige Pflanze, die sich drei Meter oder noch höher über den Boden erhob; er hatte eine Seelenverwandtschaft mit ihr verspürt, noch bevor er erfahren hatte, daß sie eine Plage war, sie wie er selbst.
Sam wußte, daß ihnen eine Trockenperiode bevorstand. Das einzig Sichere an zuviel Regen war, daß zu wenig oder gar keiner folgen würde. Inzwischen setzte sich Unkraut fest und gedieh und parfümierte die Nachtluft mit pflanzlichen Stimmen. Sam hoffte, er würde lange genug leben, um die eigentliche
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