Tanz der Kakerlaken
jetzt«, sagt er, als hätte er sie gehört.
»Du kannst mich doch nicht hören«, erklärt sie, »und ich bin zu müde, um zu schreien oder mit meinen Schnüffelruten zu buchstabieren.«
»Ich kann dich hören«, entgegnet er.
»Wirklich?«
»Ja. Doc hat mir was für meine Schwanzreifen verschrieben, was anscheinend wirkt. Ich kann alles hören, was du zu sagen hast.«
»Oh, das ist ja wunderbar!« ruft sie aus. »Dann hör mir gut zu.« Und sie beginnt so schnell sie kann zu reden. Sie erzählt Sam alles, was sich zwischen ihr und Archy in jüngster Zeit ereignet hat und wie Archy schlafwandelnd und unbewußt versucht hat, sie zu western, indem er sie in das Klosett geworfen hat.
Sie achtet darauf, ihm genau zu erklären, daß die Hochzeit ohne ihre Zustimmung oder aktive Beteiligung stattgefunden hat, daß die Ehe vom Vater des Bräutigams praktisch verfügt worden ist. Ebenso ist sie darauf bedacht, zu erzählen, daß Archy sie nicht vorsätzlich western wollte, sondern unbewußt aus einer tiefsitzenden Frustration oder Enttäuschung heraus gehandelt hat. Sie schließt ihre ganze Geschichte mit der Bemerkung: »Ich glaube nicht, daß wir richtig verheiratet sind. Was meinst du?«
»Nicht, wenn der Geistliche eine vom Talar entbundene Frackerlake war, wie es der Fall ist«, sagt Sam. »Chid war nicht befugt, diese Trauung zu vollziehen.« Sam erzählt Tish, daß sein Vater, Junker Hank, in diesem Moment in ganz Stay More nach Chid sucht. Chid sollte es nicht wagen, ins Heilige Haus zurückzukehren, denn die Knackerlaken dort haben das Gefühl, daß Chid sie im Stich gelassen hat, und sie sind in der Stimmung, ihn zu lynchen, sollte er dort jemals wieder auftauchen. »Aber was Archy angeht …«
»Ich glaube, Archy ist in den Westen gegangen«, erklärt Tish. »Ich meine, westwärts in den Westen, ich meine da lang.« Sie versucht, eine Geste zu machen. »Wie auch immer, es ist mir egal, wenn ich ihn nur niemals wiedersehe.«
Und nun, nachdem sie dies erklärt hat, stellt Tish überrascht fest, daß Junker Gregor Samsa Ingledew ihr einen Heiratsantrag macht. »Tish, willst du mich heiraten?« hat er gefragt. Hat sie richtig gehört?
Wie kann er ihr an einem derart unromantischen Ort wie einer Toilette einen Heiratsantrag machen? »Du müßtest mich hier rausholen«, erwidert sie, »und das kannst du nicht.«
»Ich hol dich da raus«, sagt er, und für einen Moment verschwindet er vom Rand des Holzsitzes, aber dann taucht er unter dem Sitz wieder auf, am Rand der Porzellanschüssel, die er mit seinen Krabblern entlangkraxelt.
»Versuch nicht, runterzuklettern!« warnt sie ihn.»Du wirst selbst nicht mehr rauskönnen, und dann ertrinken wir beide.«
»Dann ertrinke ich eben mit dir, denn ohne dich will ich nicht leben«, sagt er. »Hör zu. Ich werde etwas versuchen. Ich weiß nicht, ob es klappen wird, aber wir können es versuchen. Ich werde zu dir runterfliegen, verstehst du, und dann kannst du dich an meinen hinteren Krabblern festhalten, und ich flieg dich da raus!«
»Aber du kannst nicht so lange fliegen!« protestiert sie. »Keine Knackerlake ist jemals länger als drei volle Sekunden geflogen.«
»Die Zeit steht still«, sagt er. »Es gibt keine Sekunden mehr. Aber angenommen, es gäbe welche: eine Sekunde runter, eine Sekunde für dich zum Zugreifen, eine Sekunde, um dich rauszuholen. Okay. Versuchen wir's. Auf geht's!«
Und bevor sie noch Einwände erheben kann, springt Sam lieber vom Rand der Schüssel, seine Flügel flattern hektisch auf die unbeholfene Weise, auf die Knackerlaken bei seltenen Gelegenheiten ihre nutzlosen Flügel zu benutzen pflegen, und er kommt zielstrebig durch die Luft zu ihr herunter, ruft: »Greif zu«, und sie beißt in einen seiner hinteren Krabbler, fest genug, um Halt zu haben, aber nicht so hart, daß sie seinen Krabbler abbeißt, und dann kann sie richtig das Schlagen seiner Flügel hören! Er drischt mit seinen Flügeln auf und nieder, und sie spürt, wie sie langsam aus dem Wasser gehoben wird! Aber wie langsam! Sicherlich sind schon drei Sekunden vergangen. Er steigt empor, unaufhörlich mit seinen Flügeln schlagend, bis es scheint, sein Herz müßte aussetzen, und sie fühlt deutlich, daß die drei Sekunden verstrichen sind. Die Zeit ist um, zu Ende, vorbei, und wenn sie sich weiter an ihn klammert, wird sie ihn umbringen. Und einen knappen Moment, bevor sein Herz versagt, läßt sie seinen Krabbler los und fällt zurück ins Wasser, und er hat gerade
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