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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Harrington
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noch die Kraft für einen letzten kräftigen Flügelschlag, der ihn auf den Rand des Holzsitzes zurückbringt.
    Dort bricht er zusammen. Sie bricht im Wasser zusammen, entmutigt und ihrer Sinne gerade noch so mächtig, daß sie sich über Wasser hält. Sie hört Sam keuchen und schnaufen, und er scheint ewig zu brauchen, bis er seine Stimme wiedergefunden hat und sie fragt: »Warum hast du losgelassen?«
    »Wenn ich's nicht getan hätte, hättest du's nicht geschafft«, sagt sie. »Das weißt du.«
    Er scheint es zu wissen. »Nun, versuchen wir's nochmal«, schlägt er vor.
    »Nein«, sagt sie bestimmt. »Du hast schon all deine Kraft verbraucht. Du könntest es unmöglich beim zweiten Versuch schaffen.«
    »Nun«, sagt er, »ich schätze, ich kann zumindest hier sitzen bleiben und versuchen, Sharon davon abzuhalten, dich wegzuspülen, wenn sie zurückkommt.«
    Tish braucht eine Weile, bis sie begreift, daß Sams Worte halb im Scherz gemeint sind. Sie lacht nicht darüber. »Wann, glaubst du, wird Sie zurückkommen?« fragt sie.
    »Die Frage ist nicht wann, sondern ob«, sagt Sam. »Es gibt einigen Grund zu bezweifeln, daß Sie überhaupt zurückkommen wird. Aber ich für mein Teil weiß, daß Sie am Ende doch zurückkommen wird.«
    »Und wenn Sie wieder da ist, wird Sie mich wegspülen.«
    »Nicht, wenn ich es verhindern kann.«
    »Sam, Sam, hör zu. Falls Sie mich wegspült, will ich dir sagen, wo mein Osterei versteckt ist – unser Osterei, denn es ist auch deins –, und ich möchte, daß du es findest und dafür sorgst, daß unsere Babys heil nach Stay More zurückfinden, und dann kannst du ihnen eines Tages von mir erzählen.« Das Pathos dieser Erklärung geht Tish so zu Herzen, daß sie zu weinen anfängt.
    »Hämmann hat mir bereits gesagt, wo es ist«, sagt Sam. »Wir werden es finden, du und ich, wir werden es finden, und wenn unsere Babys schlüpfen, geben wir eine Party.«
    Die Aussicht darauf tröstet Tish beinahe; sie schnieft und versucht, das Schicksal-Ding anzurufen, damit es ihr während der kommenden Stunden beisteht.
     
    37.
    Sam wird sich immer an den Toilettensitz als den Ort erinnern, wo er die Religion für sich entdeckte. Der Sitz ist aus goldfarbener Eiche und mit Chromscharnieren am hinteren Rand der Schüssel befestigt, und Sam hat Stunden um Stunden darauf verbracht, entweder am Rand hockend und mit Tish redend, oder ungeduldig, unruhig und nervös immer und immer wieder im Kreis darauf herumlaufend wie auf einer Rennbahn. Er muß fortwährend mit Tish reden, damit sie nicht einschläft, denn wenn sie einschläft, wird sie ertrinken.
    »Komisch«, hat sie zu ihm gesagt und dabei versucht, unbekümmert zu klingen, »die ganze Zeit, als mein Haus den Bach hinuntertrieb und so viele meiner Geschwister ertranken, ist mir nie der Gedanke gekommen, ich könnte jemals im Wasser verwestern, und jetzt …«
    Er ist außer sich vor Sorge, und es ist genau solch ein Zustand, der manche Leute auf die Religion bringt, obwohl das nicht heißen soll, daß es nicht viele tief und wahrhaft religiöse Leute gibt, die niemals verängstigt oder verzweifelt gewesen sind oder sich so völlig hilflos gefühlt haben. Nicht ein einziges Mal kommt es Sam in den Sinn zu beten – bestimmt nicht zum Mann oder zur Frau und auch nicht zu Gott, obwohl er sich der Spekulationen über die Existenz Gottes wohl bewußt ist. Spekulationen, die alle Generationen von Ingledews beharrlich abgelehnt haben. Und Sam wird nicht in dem Sinne religiös werden, daß er diese Spekulationen für zutreffend hält, geschweige denn Gott anbetet. Nein, Sam wird religiös in dem Sinne, daß er glaubt, es gibt nicht nur einen Mann oder eine Frau, sondern viele, und Sie sind nicht von der Erde verschwunden und werden nie von ihr verschwinden, und wenn wir fortfahren, Sie zu achten, zu ehren und zu lieben, haben Sie die Macht, uns allesamt zu erhalten und zu bewahren, jetzt und in alle Ewigkeit, Amen. Nennen wir es ruhig Polytheismus oder Myriotheismus; nennen wir es sogar säkularen Humanismus: Sam steht kurz davor, sich mit Leib und Seele dazu zu bekehren, und er wird es schließlich predigen und sich immer daran erinnern (und es seinen Zuhörern berichten), daß seine Bekehrung auf dem Sitz einer Toilette stattgefunden hat, in der seine Liebste trieb und Gefahr lief, zu ertrinken oder weggespült zu werden.
    Um sich die Zeit zu vertreiben, während sie auf einen unbekannten Ausgang, ein ungeahntes Schicksal warten, erzählt Sam Tish von

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