Tanz der Liebenden
erkannte die Hoffnung in den großen blauen Augen. „Magst du Ballett, Carrie?“
„Ich will Ballerina werden.“
„Ballerinas sind Weicheier“, warf Rod, ihr Bruder, abfällig ein.
„Rod, sei still. Du musst diesen unwissenden Zwerg entschuldigen, Kate.“
„Keine Sorge, ist schon gut“, beruhigte Kate Beth. „So“, wandte sie sich dann an Rod, der seine Schwester triumphierend angrinste, „Weicheier also?“
„Klar. Die tragen alle so alberne Röckchen und trippeln ständig auf den Zehenspitzen herum.“ Er lieferte eine sehr eindrucksvolle Karikatur eines Spitzentänzers ab, worauf seine Schwester prompt in beleidigtes Geheul ausbrach.
Bevor Beth jedoch dazwischen gehen konnte, fragte Kate auch schon: „Wie viele Weicheier kennst du, die das können?“ Damit griff sie ihre Ferse und zog das Bein senkrecht hoch, bis ihre Wade an ihrer Wange zu liegen kam.
Ach du lieber Himmel, war das Einzige, was Brody dazu einfiel.
„Ich kann das!“ verkündete Rod laut, tat es ihr nach, griff seine Ferse, wollte sein Bein hochstrecken, verlor das Gleichgewicht und fiel hart auf seinen Allerwertesten.
„Rod, du wirst dich nur in zwei Hälften reißen“, war Beths trockener Kommentar. Sie legte einen Arm um Carries Schultern. „Tut das nicht weh, wenn du das machst?“ fragte sie Kate lächelnd.
„Man darf eben nicht daran denken.“ Kate setzte den Fuß wieder auf den Boden. „Wie alt bist du, Carrie?“
„Fünf. Ich kann mich vornüberbeugen und meine Zehen berühren“, sagte sie stolz.
Fünf also, dachte Kate. Die Knochen waren noch biegsam, der Körper konnte lernen, das Unnatürliche zu tun. „Wenn du und deine Mom euch entscheidet, dass du in meine Schule kommen kannst, werde ich dir das Tanzen beibringen. Und dann kannst du deinem Bruder beweisen, dass Ballett nichts für Weicheier ist.“ Sie streckte die Arme in die Luft, machte einen graziösen Bogengang rückwärts und wieder vor.
„Wow“, flüsterte Rod Jack zu. „Die ist ja cool.“
Brody sagte nichts. Er starrte nur mit offenem Mund.
„Nur Athleten können Ballett tanzen.“ Sie warf ihr Haar zurück und schaute Rod durchdringend an. „Es gibt viele professionelle Football-Spieler, die nebenbei Ballett trainieren, damit sie auf dem Spielfeld schneller und geschmeidiger sind.“
„Glaub ich nicht“, entgegnete Rod sofort aufmüpfig.
„Glaub’s ruhig. Komm zusammen mit deiner Schwester, dann zeig ich’s dir.“
„Damit handelst du dir aber Kopfschmerzen ein.“ Beth lachte und winkte ihrem Sohn. „Komm schon, du kleines Monster.“
Brody schaffte es, seinen inneren Film zu stoppen, der ihm aufregende Bilder vorspielte, wie man diesen dehnbaren Körper auch noch auf anderem Gebiet einsetzen könnte … „Danke, dass du Jack hergebracht hast, Beth.“
„Kein Problem. Du weißt doch, dass ich mich jederzeit gern um Jack kümmere.“
„Ach wirklich?“ murmelte Kate und warf Brody einen langen Blick zu.
„Sicher, er ist wirklich ein …“ Beth sah von Kate zu Brody, von Brody zu Kate – und verkniff sich ein Grinsen. Sieh mal an, dachte sie, es wird aber auch Zeit, dass dieser Mann endlich wieder den Kopf aus dem Sand zieht. „Um genau zu sein – ich hatte vor, Freitagabend einen großen Topf Spaghetti zu kochen und dachte mir, Jack hätte bestimmt Lust mitzuessen.“
„Freitagabend ist doch genau richtig für ein Spaghetti-Essen, oder, Brody?“ säuselte Kate in Brodys Richtung.
„Ich weiß nicht. Am Freitag …“
„Aber Freitag ist perfekt!“ Beth machte es diebischen Spaß, Kate zu helfen. „Jack könnte auch über Nacht bei uns bleiben, dann könnten die Jungs sich zusammen ein Video ansehen. Soll er doch am Freitag Sachen für den nächsten Tag mit zur Schule bringen, dann hole ich die Jungs ab, und sie haben den ganzen Tag zusammen. Also abgemacht. War nett, dich wieder zu sehen, Kate.“
„Oh ja, das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Bestimmt.“ Kate zwinkerte Beth verschwörerisch zu.
„Toll! Ich schlafe bei Rod!“ Jack hüpfte aufgeregt umher. „Danke, Dad!“
„Ja.“ Kate strich mit einem Finger über Brodys Brust. „Danke, Dad.“
6. KAPITEL
D er Freitag war nicht gerade das, was man einen runden Wochenabschluss nennen könnte. Einer seiner Männer hatte sich krank gemeldet, er war der Grippe zum Opfer gefallen, die in der Stadt grassierte. Einen anderen schickte er noch vor der Mittagspause nach Hause, weil der Mann sich vor Fieber kaum noch aufrecht halten konnte.
Da
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