Tanz der seligen Geister (German Edition)
verschlagen und traurig und wissend geboren.
Ich hörte nicht viel über den Vater von Lois, nur, dass ihm der Kopf abgeschlagen worden war.
»Ratzfatz, stellen Sie sich vor, und ist über den Boden gekullert! Konnten den Sarg nicht offen lassen. War im Juni, in der warmen Jahreszeit. Und alle in der Stadt haben ihre Gärten geplündert, für die Beerdigung. Ihre Spiräen und Pfingstrosen und Kletterklematis. Wahrscheinlich der schlimmste Unfall aller Zeiten in dieser Stadt.«
»Lois hatte diesen Sommer einen netten Freund«, fuhr sie fort. »Hat sie immer ausgeführt und ist manchmal über Nacht hiergeblieben, wenn seine Familie nicht im Ferienhaus war und er keine Lust hatte, da ganz alleine zu sein. Er hatte für die Kinder immer Bonbons dabei, und sogar mir hat er Geschenke mitgebracht. Der Porzellanelefant da drüben, da kann man was reinpflanzen, den hat er mir mitgebracht. Er hat mir das Radio repariert, ich musste es nicht in den Laden bringen. Hat Ihre Familie hier auch ein Ferienhaus?«
Ich verneinte, und Lois kam herein, in einem Kleid aus gelbgrünem Stoff, steif und glänzend wie Weihnachtspapier, mit hochhackigen Schuhen, Strass und viel dunklem Puder auf ihren Sommersprossen. Ihre Mutter war aufgeregt.
»Gefällt Ihnen das Kleid?«, fragte sie. »Sie ist das ganze Stück bis nach London gefahren, um das Kleid zu kaufen, hier hätte sie so was nirgendwo gekriegt!«
Wir mussten auf unserem Weg hinaus an der alten Frau vorbeigehen. Sie sah uns an und begriff plötzlich, der Blick ihrer blassen, gallertartigen Augen wurde starr. Ihr Mund ging zitternd auf, sie streckte mir das Gesicht entgegen.
»Sie können mit meiner Enkeltochter machen, was Sie wollen«, sagte sie mit ihrer alten, kräftigen Stimme, der rauhen Stimme einer Frau vom Land. »Aber sehen Sie sich vor. Sie wissen schon, was ich meine!«
Lois’ Mutter schob die alte Frau hinter sich und lächelte fest mit hochgezogenen Augenbrauen, die Haut über ihren Schläfen spannte sich. »Gar nicht hinhören«, zischte sie mir zu und zog zerstreute Grimassen. »Gar nicht hinhören. Die zweite Kindheit.« Das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht; die Haut zog sich davon zurück. Die ganze Zeit über schien sie dem unaufhörlichen Lärm in ihrem Kopf zu lauschen. Sie ergriff meine Hand, als ich Lois hinausfolgte. »Lois ist ein anständiges Mädchen«, flüsterte sie. »Amüsieren Sie sich gut, lassen Sie sie nicht hängen.« Es folgte ein rasches, groteskes und vermutlich kokett gemeintes Zucken der Augenbrauen und -lider. »Nacht!«
Lois ging steif vor mir her und raschelte mit ihrem papierenen Rock. Ich sagte: »Möchtest du tanzen gehen oder irgendwohin?«
»Nein«, sagte sie. »Ist mir egal.«
»Aber du hast dich so fein gemacht …«
»Am Samstagabend mache ich mich immer fein«, sagte Lois, ihre Stimme wehte leise und verächtlich zu mir herüber. Dann fing sie an zu lachen, und ich sah für einen Augenblick ihre Mutter in ihr, die Verkrampftheit und die Hysterie. »Oh Gott!«, flüsterte sie. Mir war klar, sie meinte das, was im Haus passiert war, und ich lachte auch, denn ich wusste nicht, was ich anderes tun sollte. Also gingen wir lachend zum Auto zurück, als wären wir Freunde, aber wir waren keine.
Wir fuhren aus der Stadt hinaus zu einem Farmhaus, wo uns eine Frau eine Whiskyflasche voll mit trübem, selbstgebranntem Schnaps verkaufte, etwas, was George und ich noch nie getrunken hatten. Adelaide hatte gesagt,dass die Frau uns wahrscheinlich ihr Wohnzimmer überlassen würde, doch dann war sie nicht dazu bereit, und zwar wegen Lois. Als die Frau mich unter ihrer Männermütze hervor in Augenschein nahm und zu Lois sagte: »Abwechslung ist besser als eine Pause, was?«, wies Lois ihr ein kaltes Gesicht und antwortete nicht. Kurze Zeit später sagte die Frau, für jemanden so etepetete sei ihr Wohnzimmer nicht gut genug, wir sollten uns lieber in die Büsche verdrücken. Als wir auf dem Feldweg zurückfuhren, sagte Adelaide immer wieder: »Manche verstehen wohl keinen Spaß! Eben etepetete, stimmt genau …«, bis ich ihr die Flasche gab, damit sie den Mund hielt. Ich sah, dass George nichts dagegen hatte, weil sie dann vielleicht nicht mehr an den Owen Sound wollte.
Wir hielten am Ende des Feldweges, saßen im Auto und tranken. George und Adelaide tranken mehr als wir. Sie redeten nichts, langten nur nach der Flasche und gaben sie weiter. Das Zeug war anders als alles, was ich bisher geschluckt hatte; es lag schwer im Magen, und
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