Tanz der seligen Geister (German Edition)
deine Ausbildung abgeschlossen, ja? Fühlst du dich so? Schläft deine? Meine schläft.«
»Ich schlafe nicht«, sagte Adelaide schläfrig. »Wo ist mein Gürtel? George … ah. Und wo ist mein zweiter Schuh? Ist noch früh für Samstagabend, wie? Wir könnten was essen gehen.«
»Mir ist nicht nach was zu essen«, sagte George. »Ich brauche ein bisschen Schlaf. Muss morgen früh raus und mit meiner Mutter in die Kirche gehen.«
»Ja, ich weiß«, sagte Adelaide ungläubig, wenn auch nicht allzu übellaunig. »Du hättest mir wenigstens einen Hamburger kaufen können!«
Ich fuhr zu dem Haus von Lois. Sie machte erst die Augen auf, als das Auto hielt.
Sie saß einen Augenblick lang still, dann glättete sie den Rock ihres Kleides. Sie sah mich nicht an. Ich beugte mich zu ihr, um sie zu küssen, aber sie schien ein wenig zurückzuweichen, und ich spürte, dass meine abschließende Geste etwas Verlogenes und Theatralisches an sich hatte. So war Lois nicht.
George fragte Adelaide: »Wo wohnst du? Hier in der Nähe?«
»Ja. Halbe Querstraße weiter.«
»Gut. Wie wär’s, wenn du auch hier aussteigst? Wir müssen langsam nach Hause.«
Er küsste sie, und beide Mädchen stiegen aus.
Ich ließ den Motor an. Wir fuhren los, George machte es sich auf dem Rücksitz bequem, um zu schlafen. Und dann hörten wir, wie eine Frau uns etwas nachrief, laut, grob, ausfallend und verloren:
»Danke für die Schlittenfahrt!«
Es war nicht Adelaide; es war Lois.
Das Büro
Die Lösung für mein Leben fiel mir eines Abends ein, als ich ein Hemd bügelte. Sie war einfach, aber dreist. Ich ging ins Wohnzimmer, wo mein Mann vor dem Fernseher saß, und sagte: »Ich finde, ich brauche ein Büro.«
Es hörte sich absurd an, sogar für mich. Wozu brauche ich ein Büro? Ich habe ein Haus; es ist gemütlich und geräumig, mit Blick aufs Meer; es bietet angemessene Orte zum Essen und Schlafen, um ein Bad zu nehmen und um Gespräche mit Freunden zu führen. Außerdem habe ich einen Garten; es herrscht kein Platzmangel.
Nein. Aber jetzt kommt das Eingeständnis, das mir nicht leichtfällt: Ich bin Schriftstellerin. Das klingt nicht richtig. Zu anmaßend; unecht oder zumindest wenig überzeugend. Nächster Versuch. Ich schreibe. Ist das besser? Ich versuche zu schreiben. Das macht es nur schlimmer. Geheuchelte Bescheidenheit. Also wie nun?
Egal. Wie ich es auch formuliere, die Worte schaffen ihre eigene Stille um sich, den heiklen Augenblick der Preisgabe. Aber alle Anwesenden sind nett, das Schweigen wird rasch von der Fürsorglichkeit freundlicher Stimmen gebrochen, die ausrufen, ach wunderbar, wie toll für Sie, ist ja faszinierend. Und was schreiben Sie, erkundigen sie sich interessiert. Geschichten, antworte ich und ertrage meine Demütigung inzwischen ungeniert, sogar mit einer gewissen Flapsigkeit, die mir nicht immer zu eigen war, und wieder wird die spürbare Bestürzung von eifrigen und taktvollen Stimmen verscheucht, deren Vorrat an tröstenden Phrasen erschöpft ist, und so ertönt nur: »Ah, ja!«
Dafür brauche ich ein Büro (sagte ich zu meinem Mann): um darin zu schreiben. Mir war sofort bewusst, dass es wie eine übertriebene Forderung klang, wie der reine Luxus. Zum Schreiben braucht man, wie jeder weiß, eine Schreibmaschine oder zumindest einen Bleistift, Papier, einen Tisch und einen Stuhl; alles das habe ich in einer Ecke meines Schlafzimmers. Aber jetzt will ich dazu noch ein Büro.
Und ich war mir nicht einmal sicher, dass ich darin schreiben würde, um die Wahrheit zu sagen. Vielleicht würde ich nur dasitzen und die Wand anstarren; selbst diese Aussicht schreckte mich nicht ab. Eigentlich war es das Wort »Büro«, das ich mochte, seinen Klang nach Würde und Frieden. Und Zielstrebigkeit und Wichtigkeit. Aber das mochte ich meinem Mann nicht eingestehen, also erging ich mich in einer hochtrabenden Erklärung etwa folgenden Wortlauts:
Ein Haus, ja, ein Mann kann darin arbeiten. Er bringt seine Arbeit mit ins Haus, und es wird dafür Platz geschaffen; das Haus richtet sich um ihn herum neu ein, so gut es kann. Alle erkennen an, dass seine Arbeit ein Daseinsrecht hat. Von ihm wird nicht erwartet, dass er ans Telefon geht, dass er Dinge sucht, die verschwunden sind, dass er nachsieht, warum die Kinder weinen, oder die Katze füttert. Er kann die Tür hinter sich zumachen. Stell dir vor (sagte ich), eine Mutter macht die Tür zu, und die Kinder wissen, dass sie dahinter ist, unerreichbar; schon allein das ist
Weitere Kostenlose Bücher