Tanz der seligen Geister (German Edition)
mir wurde übel davon. Eine andere Wirkung trat nicht ein, und in mir machte sich die Angst breit, dass ich nicht betrunken werden würde. Jedes Mal, wenn Lois mir die Flasche zurückgab, sagte sie: »Danke«, gut erzogen und leicht verächtlich. Ich legte den Arm um sie, obwohl ich keine Lust dazu hatte. Ich fragte mich, was los war. Ein Mädchen lag in meinemArm, verächtlich, gefügig, wütend, stumm und unerreichbar. Ich wollte lieber mit ihr reden als sie berühren, aber das kam nicht in Frage; Reden war für sie nicht solch eine Kleinigkeit wie Berühren. Dann wurde mir bewusst, dass ich schon darüber hinaus sein müsste, über das erste Stadium hinaus und mitten im zweiten (denn ich besaß eine gewisse Kenntnis, auch wenn sie nicht sehr umfangreich war, von der ordentlichen Reihenfolge der Stadien, dem Ritual der Vordersitz- und Rücksitzverführung). Ich wünschte fast, ich wäre mit Adelaide zusammen.
»Möchtest du ein Stück spazieren gehen?«, fragte ich.
»Das ist die erste gute Idee, die du heute Abend gehabt hast«, verkündete George vom Rücksitz. »Lasst euch Zeit«, sagte er, als wir ausstiegen. Er und Adelaide waren ineinander verschlungen und lachten zusammen. »Lasst euch viel Zeit!«
Lois und ich gingen einen Feldweg neben einem Streifen Buschland entlang. Die Felder lagen im Mondlicht, kühl und windig. Jetzt spürte ich Rachegelüste und sagte leise: »Ich habe mich länger mit deiner Mutter unterhalten.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Lois.
»Sie hat mir von dem Jungen erzählt, mit dem du vorigen Sommer ausgegangen bist.«
»In diesem Sommer.«
»Ist inzwischen der vorige Sommer. Er war verlobt, nicht wahr?«
»Ja.«
So leicht kam sie mir nicht davon. »Mochte er dich lieber?«, fragte ich. »War es so? Mochte er dich lieber?«
»Nein, ich würde nicht sagen, dass er mich mochte«, sagte Lois. Der Sarkasmus in ihrer Stimme wurde schwerer, und ich dachte, dass sie anfing, betrunken zu werden. »Er mochte meine Mutter und die Kinder ganz gerne, aber mich mochte er nicht. Mich mögen «, sagte sie. »Was ist das?«
»Aber er ist doch mit dir ausgegangen …«
»Er ist nur den Sommer über mit mir rumgezogen. Das machen die Jungs oben vom Strand immer so. Sie kommen hier runter zum Tanzen und um sich ein Mädchen zu angeln. Für den Sommer. Das machen die immer so.«
»Woher ich weiß, dass er mich nicht mochte«, sagte sie, »er hat gesagt, ich meckere ständig. Man muss sich diesen Jungs dankbar zeigen, weißt du, sonst sagen sie, du bist eine Meckerziege.«
Ich war ein wenig erschrocken, das alles losgetreten zu haben. Ich fragte: »Mochtest du ihn?«
»Na klar! Muss ich doch, oder nicht? Ich muss auf die Knie fallen und ihm danken. Das tut jedenfalls meine Mutter. Er bringt ihr einen billigen, alten, fleckigen Elefanten …«
»War das der Erste?«, fragte ich.
»Der erste feste Freund. Meinst du das?«
Nein, das hatte ich nicht gemeint. »Wie alt bist du?«
Sie überlegte. »Fast siebzehn. Aber ich gehe für achtzehn oder neunzehn durch. Ich komme sogar in eine Bierschenke rein. Ich hab’s ausprobiert.«
»In welcher Klasse bist du in der Schule?«
Sie sah mich verdutzt an. »Glaubst du etwa, ich gehe noch zur Schule? Die habe ich vor zwei Jahren geschmissen. Ich arbeite in der Handschuhfabrik in der Stadt.«
»War das nicht gegen das Gesetz? So früh abzugehen?«
»Ach, du kriegst eine Ausnahmegenehmigung, wenn dein Vater tot ist oder so.«
»Was machst du in der Handschuhfabrik?«, fragte ich.
»Ach, ich bediene eine Maschine. So was wie eine Nähmaschine. Demnächst kriege ich Stücklohn. Da verdient man mehr Geld.«
»Gefällt es dir?«
»Ach, ich würde nicht sagen, es ist mein Traum. Eben Arbeit – du stellst aber viele Fragen«, sagte sie.
»Hast du was dagegen?«
»Ich muss ja nicht antworten«, sagte sie, wieder leise und ausdruckslos. »Nur, wenn ich will.« Sie ergriff ihren Rock und spreitete ihn. »Ich hab Kletten amRock«, sagte sie. Sie beugte sich vor und zupfte eine nach der anderen ab. »Ich hab Kletten am Kleid«, sagte sie. »Das ist mein gutes Kleid. Ob die Stellen hinterlassen? Wenn ich die vorsichtig abmache, vielleicht ziehen sie dann keine Fäden.«
»Du hättest nicht dieses Kleid anziehen sollen«, sagte ich. »Warum hast du es angezogen?«
Sie schüttelte den Rock aus, und eine Klette fiel ab. »Ich weiß nicht«, sagte sie. Mit beschwipster Genugtuung hob sie den steifen, glänzenden Stoff an. »Ich wollte es euch
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