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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Galeonen, Klipper, Queen Marys –, die auf den Tischen, den Fensterbrettern und dem Fernseher standen. Waren es nicht Schiffe, so standen Topfpflanzen da, dazu eine Vielzahl von sogenanntem »männlichen« Nippes wie Hirschköpfen aus Porzellan, Bronzepferden und riesigen Aschenbechern aus schwerem, geädertem, glänzendem Stein. An den Wänden hingen gerahmte Fotos und so etwas wie Ehrenurkunden. Ein Foto zeigte einen Pudel und eine Bulldogge in männlicher und weiblicher Gewandung, die äußerst verlegen eine zärtliche Pose einnahmen. Jemand hatte quer darüber »Alte Freunde« geschrieben. Aber eigentlich wurde das Zimmer von einem Porträtfoto beherrscht, mit eigener Lampe und vergoldetem Rahmen; es zeigte einen gutaussehenden blonden Mann in mittleren Jahren, er saß hinter einem Schreibtisch, trug einen eleganten Anzug und sah auf den ersten Blick erfolgreich, rosig und sympathisch aus. Auch hier sind es wahrscheinlich nachträgliche Wahrnehmungen, die mich darauf hinweisen, dass auf dem Porträt eine Unsicherheit zu erkennen ist, ein Mangel an Vertrauen des Mannes in seine Rolle, eine Neigung, sich zu breit zu machen, was, wie man weiß, zu einer Katastrophe führen kann.
    Doch genug der Malleys. Sobald ich das Büro sah, wollte ich es haben. Es war größer, als ich es brauchte, da es aufgeteilt war, um einer Arztpraxis Raum zu bieten. (Wir hatten hier einen Chiropraktiker drin, aber der ist weggezogen, sagte Mrs. Malley auf ihre bedauernde, aber wenig mitteilsame Art.) Die Wände waren kalt und kahl, weiß mit ein bisschen Grau, damit sie für die Augen nicht zu grell waren. Da keine Ärzte in Sicht waren, und das schon seit einiger Zeit, wie Mrs. Malley offen gestand, bot ich ihr fünfundzwanzig Dollar im Monat. Sie sagte, sie müsse noch mit ihrem Mann sprechen.
    Als ich das nächste Mal hinging, einigten wir uns, und ich begegnete Mr. Malley höchstpersönlich. Icherklärte ihm wie zuvor schon seiner Frau, dass ich mein Büro nicht während der normalen Geschäftszeiten nutzen wollte, sondern an Wochenenden und manchmal abends. Er fragte mich, wofür ich es benutzen wollte, und ich antwortete ihm, nicht ohne erst zu überlegen, zum Abtippen von Stenogrammen.
    Er nahm diese Information humorig auf. »Aha, Sie schreiben also.«
    »Äh, ja, ich schreibe.«
    »Dann werden wir unser Bestes tun, damit Sie es hier gemütlich haben«, sagte er wohlmeinend. »Ich habe selbst sehr viel für Hobbys übrig. Alle diese Schiffsmodelle, die baue ich in meiner Freizeit, und die sind ein Segen für meine Nerven. Viele brauchen etwas Beruhigendes für ihre Nerven. Ihnen geht’s wohl so ähnlich.«
    »Ja, ganz ähnlich«, sagte ich, auf Harmonie bedacht und sogar erleichtert, dass er mein Verhalten in so milchigem und tolerantem Licht sah. Wenigstens fragte er mich nicht, wie ich es halb erwartete, wer sich um die Kinder kümmerte und ob mein Mann einverstanden war. Zehn Jahre, vielleicht fünfzehn, hatten den Mann auf dem Bild gründlich aufgeweicht und zermürbt. Seine Schenkel und Hüften wiesen jetzt erschreckende Fettpolster auf, so dass er sich seufzend bewegte, mit einem weichen Wabern des Fleisches, einer mühsamen, matronenhaften Schwerfälligkeit. Seine Haareund Augen waren verblichen, seine Züge schwammig, und die freundliche Raublust in seinem Gesichtsausdruck war unangenehmer Demut und chronischem Misstrauen gewichen. Ich sah ihn nicht an. Ich hatte nicht geplant, mit dem Mieten eines Büros die Verantwortung dafür zu übernehmen, weitere Menschen zu kennen.
    Am Wochenende zog ich ein, ohne die Hilfe meiner Familie, die nett zu mir gewesen wäre. Ich brachte meine Schreibmaschine mit, einen Klapptisch, einen Stuhl, dazu einen kleinen Holztisch, auf den ich eine Kochplatte stellte, einen Kessel, ein Glas mit Pulverkaffee, einen Löffel und einen gelben Becher. Das war alles. Ich sinnierte mit Befriedigung über die Kahlheit meiner Wände, die billige Würde meiner Grundausstattung, den bemerkenswerten Mangel an Dingen, die abgestaubt, abgewischt oder poliert werden mussten.
    Mr. Malley gefiel der Anblick weniger. Bald nach meinem Einzug klopfte er an meine Tür und sagte, er wolle mir ein paar Dinge erklären – das mit der herausgeschraubten Birne im Nebenraum, den ich ja nicht brauchte, wie man den Heizkörper bediente und wie die Markise vor dem Fenster. Er sah sich um, betrachtete alles betrübt und irritiert und sagte, es sei ein schrecklich ungemütlicher Ort für eine Dame.
    »Mir ist das ganz

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