Tanz der Sinne
Vergehen, war er gerade dabei, Lucien niederzustechen. Es ist ein schöner Gedanke, seinen Feinden zu vergeben, aber erst, nachdem sie sicher am Galgen baumeln.«
Das schwache Lächeln ihrer Schwester verging rasch. »Er hat mich nie vergewaltigt, er hat mich nicht einmal geküßt. Wahrscheinlich hat er sich das für das große Finale aufgespart. Aber gezwungen zu sein, seine abscheulichen Spiele mitzuspielen, war fast genauso schlimm. Ich habe mich so hilflos und so besudelt gefühlt.«
»Aber du hast überlebt und dir deinen Verstand bewahrt«, sagte Kit ruhig. »So stark sind nur wenige Frauen.«
»Ohne dich hätte ich es nie geschafft. Egal, wie schlimm es dort war, ich wußte, daß du in irgendeiner Form ständig bei mir warst. Wenn es unerträglich wurde, habe ich mich auf deine Kraft gestützt. Und ich wußte, daß du mich finden würdest, wenn ich nur lange genug am Leben bleibe.« Kira hielt ihre Hand fester. »Und du hast mich gefunden.«
»Ich hatte Hilfe.« Kit warf einen Blick auf das vertraute Profil, das sich vor dem Kutschenfenster abzeichnete. Im Prinzip glaubte sie zwar nicht an Rache, aber diesmal befürwortete sie sie.
Bestimmt hatte Kiras Akt rächender Gerechtigkeit einiges wiederhergestellt, das Mace zerstört hatte.
»Und noch dazu sehr eindrucksvolle«, sagte Kira und klang schon fast wieder wie sie selbst.
»Erzähl mir alles, was passiert ist.«
Kit berichtete ihrer Schwester alles bis auf ihre Beziehung zu Lucien. Das Thema war zu schmerzhaft.
Kira stieß einen Fluch aus, als sie von Jasons Gefangennahme und Flucht erfuhr, aber sie unterbrach Kit nicht. Am Ende rief sie: »Meine schüchterne, adrette kleine Schwester ist als Zigeunerbraut aufgetreten?«
»Und hat sich die Haare abgeschnitten und sich diesen verdammten Schmetterling tätowieren lassen, damit niemand einen Unterschied bemerkt«, sagte Kit spöttisch.
Kira schmunzelte. »Wie waren die
Besprechungen?«
»Die Kritiker fanden, ich sei in Hochform.« Kit zuckte die Achseln. »Ich habe einfach so getan, als wäre ich du. Das Publikum hat zu sehen bekommen, was es von Cassie James erwartet.«
»Vielleicht solltest du meinen Platz auf Dauer einnehmen«, schlug Kira vor. »Ich werde nicht wieder auftreten, aber es wäre ein Jammer, Cassie in Pension zu schicken, wenn ihr unsterblicher Ruhm winkt.«
Überrascht sagte Kit: »Du gibst das Theater auf?«
»Ich hab’ genug davon. Manchmal war es wunderbar – es gibt nichts Schöneres, als sein Publikum vollkommen in Bann zu schlagen. Aber die Welt des Theaters ist eng und selbstbezogen und nimmt sich viel zu ernst. Ich habe oft die Geduld verloren.«
»Du hast vorher nie etwas davon gesagt.«
Kiras Finger zuckten nervös in der Hand ihrer Schwester. »Ich wollte nicht zugeben, daß es ein Fehler war. Und ganz so war es auch nicht – ich habe es ausprobiert und kann es jetzt ohne Bedauern aufgeben.« Ein wärmerer Ton stahl sich in ihre Stimme. »Das ist auch gut so. Es wäre Jason gegenüber nicht fair, wenn ich weiter auftreten würde. Theaterleute sollten nur ihresgleichen heiraten.«
»Dann willst du ihn heiraten?«
»Es gibt nichts auf der Welt, was ich mir mehr wünsche. Nachdem ich ihn getroffen habe, diesen amerikanischen Sturkopf, war mir kein anderer mehr gut genug. Ich nehme an, daß er genauso fühlt, sonst wäre er mir nie nachgekommen.«
Plötzlich klang sie nervös. »Du magst ihn doch, oder nicht? Es wäre schrecklich, wenn er dir nicht gefiele.«
»Ich mag ihn sehr. Ihr zwei paßt großartig zusammen.«
»Er hat die Fähigkeit zu emotionaler Nähe. Das ist selten bei einem Mann. Wahrscheinlich liegt es daran, daß seine Mutter ihn aufgezogen hat – er nimmt Frauen ernst.« Kira lachte leise.
»Wahrscheinlich hat er es nicht erwähnt, aber sein Schiffshandel geht sehr gut. Kannst du dir das vorstellen? Ein männlicher Travers, der Geld verdient, statt es zu verschleudern. Papa würde das für schändlichen Verrat halten.«
»Offensichtlich haben zwei Generationen Amerika den Stammbaum veredelt«, stimmte Kit zu. »Aber warum hast du ihn vor drei Jahren abgewiesen?
Er hat gesagt, daß du England nicht verlassen wolltest, aber wenn du ihn so sehr liebst…«
»Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, so weit weg von dir zu sein.« Wieder umklammerte Kira Kits Hand. »Es war so schon schlimm genug, getrennt zu sein, wo wir beide in England waren, aber einen ganzen Ozean zwischen uns zu haben… So sehr ich Jason geliebt habe, ich konnte einfach
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