Tanz der Sinne
– sie hebt ihre Unabhängigkeit.«
»Eine bemerkenswerte Frau«, sagte Robecque bewundernd. »Ihr Französisch ist exquisit.
Genausogut wie das Ihre.«
»Sie ist eine Frau von außerordentlichen Fähigkeiten.« Und das nächstemal, wenn sie sich trafen – und das würden sie – sollte sie für das bezahlen, was sie heute abend angerichtet hatte.
Kapitel 14
Ebenso wie sein Opfer war auch Lucien ziemlich gut darin, sein Äußeres zu verändern. Am nächsten Morgen war er verkleidet und in der Oxford Street auf der Suche nach einer Mietdroschke, als er den Herzog von Candover erspähte. Übermütig sprach er ihn mit dickem Yorkshireakzent an: »Verzeihen Sie, Sir, aber ist das Englische Opernhaus hier in der Nähe?«
Mit gequälter Miene, da ein Unbekannter ihn belästigte, erwiderte Rafe abweisend: »Ein Stück weiter auf der linken Seite.«
In seinem normalen Tonfall sagte Lucien: »Vielen Dank, Euer Gnaden.«
Rafe blieb stehen und fuhr herum. »Bist du das, Luce?«
»Höchst leibhaftig«, antwortete Lucien, »und zutiefst gerührt, daß du mich nicht ganz geschnitten hast.«
Der Herzog schnaubte und ging neben ihm her.
»Was hast du diesmal vor?«
»Eine kleine Nachforschung, aber ich wäre dir dankbar, wenn du nicht ganz Mayfair davon in Kenntnis setztest.«
»Wie stellst du das an?« fragte Rafe mit leiserer Stimme. »Deine Haare sind dunkler, und die Brille und die schäbigen Kleider machen einen Unterschied, aber das sind nur oberflächliche Veränderungen.« Er warf seinem Freund einen forschenden Blick zu. »Dein Gesicht ist dasselbe, aber du wirkst kleiner und gedrungener als sonst, und ganz und gar unscheinbar. Wenn ich dich nicht kennen würde, seit du zehn Jahre alt bist, hätte ich keine Ahnung, wer du bist.«
»Verstellung beginnt im Kopf«, erklärte Lucien.
»Reichtum, Macht und Ansehen verleihen einer Person ein unverkennbares Selbstbewußtsein.
Wenn man das ablegt und sich als bedeutungslos und finanziell ungesichert sieht, ändert sich die Ausstrahlung völlig.«
»Wahrscheinlich«, gab Rafe zu, »obwohl ich den Gedanken wenig verlockend finde. Ich genieße das alles sehr.«
»Du spielst die Rolle des arroganten Aristokraten so gut, daß es eine Schande wäre, sie aufzugeben«, bestätigte Lucien. »Apropos, wir sollten uns trennen. Es könnte deinem Ruf schaden, wenn du mit einem so unbedeutenden Subjekt wie James Wolsey aus Leeds gesehen wirst.«
»Ich bin ausgesprochen höflich zu den unteren Ständen, solange sie mir die angemessene Ehrerbietung beweisen«, sagte Rafe schlicht.
»Vergiß nicht zu katzbuckeln, wenn du gehst.«
Lucien grinste. »Ich hab’ gehört, daß die Verhandlungen in Gent vorangehen.«
Der Herzog nickte. »Mit etwas Glück haben wir bis Weihnachten Frieden mit den Amerikanern.«
»Hoffen wir es.« Sie verabschiedeten sich flüchtig, und Lucien hielt eine Mietdroschke an, um zum Marlowe zu fahren. Dort stellte er sich als junger Journalist vor, der einen Artikel über Cassie James schrieb. Die junge Dame hatte das Publikum in Nordengland oft mit ihrer Kunst beglückt, und seine Leser waren brennend interessiert an ihren Erfolgen in London.
Seine Anwesenheit wurde als selbstverständlich hingenommen, und er verbrachte ein paar Stunden damit, Fragen zu stellen und sich Notizen zu machen. Er hatte Erfahrung darin, sich Informationen zu verschaffen, aber unglücklicherweise hatte niemand ihm etwas Nützliches zu sagen. Man war sich allgemein einig, daß Miss James eine charmante junge Dame war, überhaupt nicht eingebildet. Und sehr professionell.
Aber sie war äußerst auf ihre Privatsphäre bedacht, mehr als die meisten. Niemand kannte ihre Adresse oder irgendwelche Details über ihr Privatleben, abgesehen von der Tatsache, daß sie in der vergangenen Nacht von ihrem aristokratischen Liebhaber aus dem Künstlerzimmer entführt worden war. Ziemlich aufsehenerregend. Zwar wurde allgemein angenommen, daß sie einen Gönner hatte, aber niemand hatte geahnt, daß der Mann von so hohem Stand war. Das Mädchen hatte es weit gebracht.
Lucien zog eine gewisse Genugtuung daraus, daß niemand in James Wolsey den Grafen Strathmore erkannte. Es war die einzige Genugtuung an diesem Tag.
Selbst der Theaterdirektor konnte ihm nicht weiterhelfen. Während einer Pause in den Proben zu einem neuen Stück, die hauptsächlich darin zu bestehen schienen, daß er ungeschickte Tänzerinnen anbrüllte, erklärte er Lucien, daß Miss James in zahlreichen Stücken kleinere
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