Tanz der Sinne
ihm vielleicht sagen, was er wissen wollte. Sie hatte eine Neigung zum Klatsch – ein Familienzug.
Glücklicherweise war seine Tante bereit, ihn zu einer unpassend frühen Stunde zu empfangen.
Winzig und mit silbrigem Haupt, in zahllose Schals gehüllt, saß sie am Feuer, als er in ihren Salon gebeten wurde. »Bestell uns Tee, mein Junge«, befahl sie. »Und dann komm her und gib deiner alten Tante einen Kuß.«
Er gehorchte, und sie winkte ihn zu einem Sessel neben dem ihren. »Bist du hergekommen, um mir zu sagen, daß du im Begriff bist, dich zu verheiraten?«
Er lachte. »Die Antwort ist dieselbe wie immer: nein. Ich verspreche, daß du eine der ersten sein wirst, die davon erfahren, wenn ich meine Meinung ändere, aber bis dahin wirst du dich mit den Sprößlingen von anderen Zweigen des Stammbaumes begnügen müssen.«
Lady Steed nickte resigniert. »Dann bist du vermutlich gekommen, um meinem vertrottelten alten Hirn ein paar Fakten zu entlocken.«
»Vertrottelt – du? Dein Verstand und dein Gedächtnis sind so scharf wie ein Florentiner Dolch.«
Sie versuchte, eine mißbilligende Miene aufzusetzen, aber sie konnte ihr Lächeln nicht verbergen. »Was willst du diesmal wissen?«
»Du hast doch Freunde in Westmoreland, nicht wahr?«
»Die Miltons, in der Nähe von Kendal. Die verwitwete Lady Milton und ich sind seit fast sechzig Jahren Busenfreundinnen. Ich besuche sie jeden Sommer auf dem Weg nach Schottland. Der derzeitige Viscount ist mein Patenkind.« Sie funkelte ihn drohend über ihre goldgeränderte Halbbrille an. »Lord Milton hat mit zweiundzwanzig geheiratet und ist Vater von drei Söhnen. Das ist ein Mann, der seine Pflichten gegenüber der Familie kennt.«
Er überhörte die Spitze mit langjähriger Übung und fragte: »Hast du dort je einen Lord Markland kennengelernt?«
»0 ja, ein charmanter Mann, allerdings vollkommen Wertlos. Sein Landsitz lag nur ein paar Meilen von Milton Hall entfernt.« Sie schnaufte verächtlich. »Alles, was er zustande gebracht hat, war ein Paar Zwillingstöchter. Nach seinem Tod ist der Titel an einen amerikanischen Cousin gegangen, und ich vermute, daß er damit praktisch erloschen ist. Soweit ich weiß, halten die Amerikaner nicht viel von solchen Dingen.«
Bevor sie zu den Vorzügen des erblichen Adels abschweifen konnte, sagte Lucien: »Erzähl mir von den Zwillingstöchtern. Hast du sie je gesehen?«
»Fast jedesmal, wenn ich die Miltons besucht habe. Sie waren alle beide entzückend, Kristine und Kathryn, beides mit einem K. Die Travers hatten schon immer einen Hang zur Originalität.«
Sie schüttelte den Kopf. »Markland hat seine Töchter schandbar vernachlässigt. Anne Milton hatte die Mädchen gern und hat sich große Mühe gegeben, ihnen beizubringen, wie man sich benimmt.«
»Waren die beiden sich ähnlich?«
Sie nickte. »Wie ein Ei dem anderen. Ich habe so etwas noch nie gesehen. So oft ich sie auch gesehen habe, ich konnte sie nie
auseinanderhalten. Ihre Persönlichkeiten waren allerdings ganz verschieden. Lady Kristine war die Ältere, und sie war wild, ganz wie ihr Vater.«
Der Tee kam, und die Herzogin goß ein. »Kristines Streiche waren im ganzen Landkreis berühmt. Sie ist um Mitternacht nackt im Fluß geschwommen, auf Klippen geklettert, in Hosen bei der Fuchsjagd mitgeritten, und sie hat mit dem Vikar Philosophie diskutiert, bis der arme Mann weder aus noch ein wußte. Sie hätte ein Junge sein sollen.«
Das erklärte ihr Talent für Einbruch und Dachakrobatik. »Und Lady Kathryn?«
»Die ist nach ihrer Mutter, einer Pastorentochter, geraten, und war eine sehr sittsame junge Dame.
Sie ist ständig ihrer Schwester nachgelaufen und hat versucht, sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Ein liebes Kind, aber leicht zu übersehen – Kristine hat für alle beide geredet.«
Lady Steed hob die silberne Zuckerzange und ließ ein Stück Zucker in ihre Tasse fallen. »Man hat den Mädchen einiges nachgesehen, weil sie keine richtige Erziehung genossen haben. Sie waren nicht bösartig, aber Kristine war eindeutig dazu bestimmt, in Schwierigkeiten zu geraten.
Wahrscheinlich ist sie mit dem ersten Mann durchgebrannt, der sie gefragt hat, oder sie ist zur Bühne gegangen, oder irgend etwas in der Art.«
Lucien hob die Brauen. »Glaubst du wirklich, daß sie Schauspielerin geworden ist?«
Sie schmunzelte. »Ich glaube, nicht einmal Kristine wäre so weit gegangen, aber sie war sehr talentiert. Sie und Kathryn haben immerzu mit den
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